Die Innenstadt beleben – geht doch!

15Juni
2024

Der Leerstand in der Innenstadt ist auch in Baden-Baden ein großes Thema. Dieser traurige Trend ist kein Einzelfall. Stadtforscher plädieren für ein Umdenken: weg vom Konsum, hin zu Plätzen mit hoher Aufenthalts-Qualität.

Flanieren, etwas einkaufen, einen Kaffee trinken: Ein Bummel durch die Stadt hat doch meist etwas Erheiterndes. Weniger erhebend allerdings ist die Tatsache, dass mehr und mehr Läden auch in Baden-Baden leer stehen.

In die Stadt nur des Konsumierens willen?

Doch es kommt natürlich auch darauf an, mit welcher Motivation man in die Stadt geht: Möchte ich nur konsumieren? Oder einfach mich an der schönen Atmosphäre erfreuen, dem Blumenschmuck, der Architektur, den Passanten?

Weg vom bloßen Kaufangebot

„Innenstädte brauchen weniger Konsum“, so bringt es der Stadtforscher Matthias Stippich vom KIT auf den Punkt. Er fordert mehr Aufenthaltsqualität in unseren Städten. Matthias Stippich ist Architekt und Dozent am KIT und der Fachhochschule Ostschweiz. Der Architekt und Stadtplaner aus Achern hat gerade einen Wettbewerb für eine riesige Industriebrache in Lörrach gewonnen. Es ist ein Pilotprojekt für das erste CO₂-neutrale Gewerbegebiet in Holzbauweise in Deutschland.

Die Innenstadt neu denken

Wenn der Experte von den Innenstädten spricht, wird klar, worum es ihm geht: „Wir brauchen ein neues Verständnis des räumlichen Zentrums unseres Zusammenlebens“, so sein Credo.

Der Wandel ist spürbar

Viele Umstände haben dazu geführt, dass die Innenstadt, die durch viele Geschäfte heraussticht, ein Auslaufmodell ist. Stichwort Digitalisierung: Gerade junge Menschen kaufen gern und oft im Internet. Hinzu kommt, dass, wer im Internet kauft, keine Parkgebühren und auch keine Buskarte zahlen muss. Warum also noch in die Stadt gehen? Und dann war ja auch noch Corona – der stationäre Handel ruhte lange Zeit. Es schmerzt, aber die Veränderung in den Innenstädten ist längst wahrnehmbar.

Was macht eine Innenstadt aus?

Laut Stippich ist die Innenstadt der Kern unseres Gemeinwesens. Hier wurde seit jeher Handel getrieben – was bis in die 2000er Jahre auch gut funktionierte. Der Einzelhandel schrieb gute Zahlen, heute nicht mehr selbstverständlich.

Mehr Handwerk in der Innenstadt

Gerade in mittelgroßen Städten sollte man deshalb laut Stippich das Regionale und das Gemeinsame stärken – also weniger Filialisten haben und mehr inhabergeführte Geschäfte und auch Handwerksbetriebe ins Zentrum bringen. Als gutes Beispiel nennt er die Metzgerei Vogt am Johannesplatz im benachbarten Bühl: Hier werde gläserne Produktion im Schaufenster gezeigt. „Transparenz und Authentizität sind die wirksamsten Waffen des stationären Handels“, so Stippich.

Nicht nur aufs Einkaufen setzen

Und er weist darauf hin, dass die Innenstadt in ihrer Geschichte niemals nur fürs Einkaufen stand, da im Zentrum einst auch Menschen wohnten, arbeiteten, etwas produzierten, feierten. Im Nachkriegsdeutschland, als die Städte wieder aufgebaut waren, veränderte sich das. Es herrschte Nachholbedarf in Sachen Konsum – die Jahre ab 1960 bis 2000 waren dann die fetten Jahre für den Handel in der Innenstadt. Damit einher ging, dass die Räume für Wohnungen sich im Zentrum verknappten und verteuerten. Die Mieten stiegen.

Die Vision: weniger Konsum, mehr Erleben

Für den Planer Stippich ist jetzt schon klar: Wenn Innenstädte sich neu erfinden wollen, dann durch weniger Konsum und mehr Gemeinschaft. Stichwort Aufenthaltsqualität – etwa auch, indem man in der Innenstadt Coworking Spaces ansiedelt. Damit könne man die Innenstädte neu beleben.

Arbeiten in der Innenstadt – und in der Pause ins Café

Und er nennt ein Beispiel, das er in Oslo entdeckt hat. Dort gibt es die „Deichmanske Bibliotek“, in der sich jeder 24 Stunden lang an sieben Tagen in der Woche ohne Konsumzwang aufhalten kann. Dort werden nicht nur Bücher entliehen und gelesen, hier kommen auch Menschen hin, die nicht zu Hause oder im Büro arbeiten. Eine schöne Alternative zum Homeoffice – und eine gute Möglichkeit, die Innenstadt mit Leben zu füllen. Das käme auch den Cafés und Restaurants zugute.

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Foto: Tommy Schindler