„Zusätzliche Baufelder in Villenvierteln sind tickende Zeitbomben“

10April
2019

Kaum einer kennt sich mit der Erhaltung und Pflege des Stadbildes so gut aus wie der Architekt Wolfgang Niedermeyer. Vor ein paar Wochen wurde er Mitglied der FBB – er steht auf unserer Wählerliste auf Platz Nummer eins. Interview mit einem, der Sachverstand und Kampfgeist mitbringt.

Herr Niedermeyer, Sie engagieren sich im Verein Stadtbild und nun auch bei der FBB dafür, dass unsere schöne Stadt ein Juwel bleibt. Was ist Ihre Vision für Baden-Baden? 

Wolfgang Niedermeyer: „Keine Vision – nur Strategien. Beim Verein Stadtbild habe ich fast alle abgearbeitet. Bei der FBB fange ich gerade mit Gleichgesinnten an. Es gilt nicht nur verbal für das ,Juwel’ zu werben, sondern einen Handlungsrahmen aus den vielen Einzelansätzen zu schaffen, um weitere Bausünden zu verhindern.“

Welche Gefahren sehen Sie für das Stadtbild?

Wolfgang Niedermeyer: „Die größte Gefahr ist die menschliche Dummheit, verbunden mit Gier.  Es sind ja nicht nur Investoren, die mit dem guten Ruf Baden-Badens ein Geschäftsmodell entwickeln. Das Stadtbild entwickelt seine Qualität aus einer Unzahl von Details im öffentlichen Raum. Hier trägt jeder Verantwortung, auch die Stadtwerke mit ihrer unsäglichen Planung, etwa an der Ecke Stephanien-/ Hardtstraße.“

Was müssen wir und was muss die Stadtverwaltung tun, damit Baden-Baden einmalig und authentisch bleibt?

Wolfgang Niedermeyer: „Ehrlich, sachlich und ohne Überheblichkeit den Markenkern der Bäderstadt des 19. Jahrhunderts herausarbeiten und nicht jedem banalen Event hinterherlaufen. Verwaltung und Bürger müssen sich jetzt den Datenschatz, der sich bei der Welterbe-Evaluierung angesammelt hat, genau anschauen. Dazu ist eine wissenschaftliche Begleitung erforderlich. Erst dann können Schlüsse gezogen und Entscheidungen getroffen werden.“

Was werden Sie dafür auf den Weg bringen?

Wolfgang Niedermeyer: „Viele tolle Mitarbeiter in der Verwaltung sammeln Daten und Fakten und werten sie aus. Es gibt Berge von Gutachten, Bewertungen und Stellungnahmen. Die immer weiter fortschreitende Zellteilung der Verwaltung lähmt jedoch die Initiative und Verantwortungsbereitschaft. Vorgänge laufen sich in der selbstgeschaffenen Bürokratie tot. Ganzheitliche Lösungen sind mein Ansatz. Ich werbe für eine ,interdisziplinäre Arbeitsgruppe Welterbe’ mit ähnlicher Struktur wie in Regensburg. Unsere Verwaltung lässt sich leider nicht davon abbringen, immer wieder das Rad neu zu erfinden.“

Es gibt einen Entwurf der städtischen Baufibel. Er wurde von Architekten kritisiert. Was ist Inhalt dieser Fibel und wie stehen Sie dazu?

Wolfgang Niedermeyer: „Kritik steht jedem zu, auch Architekten. Mein Wissensstand ist, dass die Inhalte der Baufibel noch mit den Interessenverbänden intensiv besprochen werden sollen. Solange müssen Sie auf meine Antwort warten.“

Ihre Architekturführungen, die Sie z.B. am Tag des offenen Denkmals kostenlos anbieten, sind überaus beliebt. Nun haben wir in Baden-Baden das Glück, über wunderbare Villenviertel zu verfügen. Architektur dient nicht nur einem Sinn und Zweck, sie hat oft auch einen ästhetischen Auftrag. Was macht es mit den Menschen, von schöner Architektur umgeben zu sein?

Wolfgang Niedermeyer: „Die Einen in den Schuhkartonhäusern können das beschriebene Umfeld genießen – doch die Urheber der qualitätsvollen Architektur müssen auf Unkultur schauen. Leider kennt das Grundgesetz kein Recht auf Ästhetik.“

Welche Gebäude möchten Sie retten?

Wolfgang Niedermeyer: „Etliche große Villengrundstücke im Beutig/Quettig haben in den Bebauungsplänen Anfang des 21. Jahrhunderts mehrere zusätzliche Baufelder zugesprochen bekommen. Das sind tickende Zeitbomben, die das Quartier gänzlich verändern können. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Im Moment bin ich mit Anliegern dabei, dem Bauherrn des Vincenti-Projekts möglichst viel Steine im Baugenehmigungsverfahren in den Weg zu legen.“