Was wir von Estland lernen können
29August
2024
Die Schule beginnt in wenigen Tagen. Dann heißt es wieder in die Bücher schauen, lernen und Hausaufgaben machen. Wie schaffen es Kinder, Lehrer, Eltern, eine gute Bildung sicherzustellen? Ein Blick nach Estland lohnt: Denn das baltische Land im Norden der EU ist PISA-Champion.
Die Frau, die in Estland für Bildung zuständig ist, heißt Kristina Kallas. Als Bildungsministerin kann sie sich glücklich schätzen, denn im jüngsten PISA-Test hat kein Land in Europa so gut abgeschnitten wie Estland. Was ist das Erfolgsgeheimnis der Schulen in Estland?
Die Eltern sind stark eingebunden
Die estnischen Schulen werden von den Gemeinden und nicht vom Staat betrieben. Die Eltern engagieren sich hier sehr stark – stärker als in Deutschland. „Sie sind in Schulaktivitäten involviert und achten auf den Lernfortschritt ihrer Kinder. Das ist wichtig. In den PISA-Tests sieht man, dass es eine Korrelation zwischen den Leistungen in Mathematik und der Anzahl der gemeinsamen Abendessen mit den Kindern gibt. Am Essenstisch wird über den Unterricht und Probleme geredet“, so Kristina Kallas.
Eine Plattform für alle gibt jederzeit Auskunft über Leistungen
Der Zugang der Eltern zu den Schulaktivitäten ist leicht: Auf einer Plattform sind alle Schul- und Bildungsdaten verfügbar. Lehrer, Eltern und Kinder sind über die Plattform verbunden. Die Eltern können sich einloggen und jederzeit verfolgen, was in der Schule gerade durchgenommen wird und welche Hausaufgaben oder Aktivitäten die Kinder haben. In Deutschland hingegen gibt es zweimal im Jahr Zeugnisse und während des Schuljahres weit weniger Transparenz über die Schulleistungen. Über das digitale Klassenbuch „eKool” verteilen die Lehrer Hausaufgaben, Noten und notieren die Abwesenheit ihrer Schützlinge – über diese Themen tauschen sie sich auch mit den Eltern aus.
Die Lehrer werden in Sachen neue Technologien aktiv unterstützt
Übrigens werden Lehrer beim Einsatz moderner Medien von Bildungstechnologen unterstützt, die helfen, mit Computer oder neuer Software zurechtzukommen. Ab diesem Monat bekommen Lehrer an estnischen Schulen KI-Schulungen, denn auch die Kinder sollen behutsam an das Thema herangeführt werden – und es lernen, KI zu beurteilen und sinnvoll einzusetzen.
Bis zur neunten Klasse lernen alle zusammen
In Estland lernen alle bis zur neunten Klasse zusammen in einer sogenannten Einheitsschule, ähnlich einer deutschen Grundschule. Kinder werden also nicht wie bei uns schon nach vier Jahren Grundschule nach ihrem Leistungsniveau auf Hauptschule, Realschule und Gymnasium verteilt. Dies wird als einer der Hauptgründe für den Bildungserfolg Estlands betrachtet. Denn die akademischen Fähigkeiten der Kinder entwickeln sich individuell in sehr unterschiedlichen Stadien des jungen Lebens. Nicht zu früh bewerten, heißt in Estland die Devise – und Kinder intensiv fördern. „Wir glauben, dass Kinder bis zum Alter von 16 Jahren, bis sie im Gehirn so weit entwickelt sind, um die volle Verantwortung für ihre akademische Leistung zu übernehmen, nicht getrennt werden sollten. Weder nach Sprache noch nach akademischer Leistung. Sie unterstützen sich gegenseitig und lernen zusammen“, so die Bildungsministerin.
Die Vorschullehrer lernen ihren Beruf an der Uni
Kinder von eineinhalb bis sieben Jahren gehen in den Kindergarten. Hier erlernen sie soziale Fähigkeiten. Die Kosten sind überschaubar und diese Einrichtungen sind von frühmorgens bis 18 Uhr geöffnet. Dort werden sie von Vorschullehrern unterrichtet, die ihre Ausbildung an der Uni absolvieren. Dieser Beruf ist sehr beliebt. Laut Kallas bewerben sich neun Personen auf einen Platz, die Absolventen verdienen 90 Prozent des Lohnes eines Grundschullehrers.
Stichwort Digitalisierung
Estland ist ein Vorreiter der Digitalisierung. Das heißt aber nicht, dass im Klassenzimmer alles digital abläuft. Die Bildungsministerium: „In Estland glauben wir: Digitales Lernen hat im Klassenzimmer nichts zu suchen, weil der Lehrer dort ist, um eine soziale Interaktion mit den Kindern zu haben. Der Unterricht ist die Zeit für das Lernen von Person zu Person. Aber außerhalb des Klassenzimmers können Werkzeuge intelligent eingesetzt werden, um das Lernen zu verbessern.“
Gelernt wird auf Papier
Die Kinder haben keine Tablets, die Schulen aber schon. Kristina Kallas „Die Fähigkeiten der Schüler müssen im Unterricht entwickelt werden, das ist seit 2011 Teil des Lehrplans. Das Entscheidende besteht für uns aber nicht darin, einem Kind einen Laptop oder ein iPad zu geben. Das Entscheidende ist, die digitalen Kompetenzen der Lehrer zu entwickeln. Ein Kind, das Papier und Notizbuch verwendet, lernt ganz anders als durch das iPad. Das Gehirn arbeitet anders, wenn auf Papier gelernt wird.“
Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird auf der Website nur die männliche Form verwendet. Diese Form versteht sich explizit als geschlechtsneutral.
Foto: Freepic