Dramatische Situation für Vereine
09März
2021
Die Vereine nehmen aktuell großen Schaden – sind aber auch durch bürokratische Hürden über Gebühr belastet, berichtet Tommy Schindler, Stadtrat der FBB und Landtagskandidat Freie Wähler.
Seit November 2020 sind Hallen und Sportplätze wieder größtenteils geschlossen, konkrete Lockerungen hängen aktuell von den Inzidenzwerten ab. Davon betroffen sind besonders Kinder- und Jugendliche: Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, war zum Jahresbeginn 2020 gut die Hälfte der Kinder und Jugendlichen in Deutschland Mitglied in einem Sportverein. Das sind rund 7,3 Millionen Mädchen und Jungen. Am höchsten ist der Anteil in der Altersgruppe der 7- bis unter 15-Jährigen: 70,5 Prozent der insgesamt knapp sechs Millionen Mädchen und Jungen dieser Altersgruppe waren in einem Sportverein.
Der Sport-Lockdown trifft die Vereine hart
Vom Sport-Lockdown betroffen sind besonders die Mannschafts- und Hallensportarten sowie Fitness- und Kursangebote im Turnbereich. Von den Kindern- und Jugendlichen in Sportvereinen im Alter von 0 bis 18 Jahren spielten rund 2,1 Millionen Fußball, ähnlich viele Kinder und Jugendliche dieser Altersgruppe waren in Turnvereinen aktiv.
32 Euro monatlich
Kein Training, keine Veranstaltungen – noch ist unklar, ob die Mitglieder ihren Sportvereinen trotz des eingeschränkten Angebots die Treue halten oder auch aus Kostengründen einen Austritt in Erwägung ziehen. Mehr als ein Fünftel der privaten Haushalte in Deutschland hatte 2019 Ausgaben für Sportvereine. Diese Haushalte zahlten im Schnitt 32 Euro monatlich für ihre Mitgliedschaften. Doch was passiert mit den Vereinen, wenn es jetzt Austritte hagelt?
Vereine erfüllen eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe
Einer, der sich mit Vereinen auskennt, ist Tommy Schindler, Stadtrat der FBB und Landtagskandidat für die Freien Wähler. „Vereine sind eine enorm wichtige Stütze der Gesellschaft. Es wird nicht nur Geselligkeit gepflegt, sondern auch Dienst an der Allgemeinheit geleistet. Man denke nur an die ehrenamtlichen Helfer in Pflegeheimen oder bei der Integration. Vereine übernehmen sogar Aufgaben, die normalerweise die Kommunen erledigen müssten. Hier in Baden-Baden übernehmen die Vereine den Blumenschmuck an diversen Brücken, weil die Stadt aus Kostengründen das nicht mehr machen kann oder will. Oder nehmen wir die Musikvereine, die Kinder und Jugendliche an Instrumenten ausbilden und die ehrenamtlichen Lehrer, die dies kostenlos machen. Oder Tierschutzvereine, die finanztechnisch fast immer am Limit sind. Ohne die vielen Helfer würde das nicht funktionieren. Oft sind es junge Menschen, die sich dort unter der Anleitung erfahrener Mitarbeiter engagieren. Die Erfahrung, die sie dabei machen, wird ein Leben lang einen prägenden Einfluss haben.“
Bürokratie macht den Vereinen das Leben schwer
Jedoch beklagt er die Hürden, die Vereine nehmen müssen. „Im Allgemeinen ist es so, dass eine Regelungswut die Vereine belastet, manchmal sogar lähmt. Nehmen wir nur mal das leidige Thema, wenn jemand für ein Vereinsfest einen Kuchen backt. Es gab vor einigen Jahren eine Verschärfung der Hygienevorschriften. Dort wurde aufgeführt, dass die Inhaltsstoffe des Backwerks genauestens aufgelistet werden müssen und der Käufer diese Liste einsehen kann. Sollte diese Liste einen Fehler aufweisen, kommt dieser Satz zur Geltung ,jeder, der Lebensmittel herstellt, behandelt oder in Verkehr bringt, haftet zivil- und strafrechtlich dafür, dass dies einwandfrei erfolgt’. Es gab zunächst einen großen Aufschrei, doch nach und nach stellte sich eine gewisse Beruhigung ein. Die Vorschrift blieb, aber in der Praxis war sie nicht vollständig durchzusetzen. Gerade diese Kuchengeschichte ist eine erträgliche Einnahmequelle für den Verein, denn es handelt sich ja um eine Spende. Leider haben aber viele Menschen danach keinen Kuchen mehr gestiftet. Die Angst, dass ein Gast eine Zutat nicht verträgt und rechtliche Konsequenzen drohen, ist einfach zu groß.“
Ein Teufelskreis
Tommy Schindler wird nachdenklich: „Und schon dreht sich der Teufelskreis. Die Ausgaben der Vereine steigen und steigen. Plötzlich müssen elektrische Maschinen, die zum Beispiel bei einem Zeltaufbau verwendet werden, durch einen Sachverständigen auf ihre Sicherheit geprüft werden, was natürlich Kosten verursacht. Auf der anderen Seite bleiben die Kuchenspenden aus und schon hat man doppelten Verlust. Das führt wiederum dazu, dass immer weniger Vereine Veranstaltungen durchführen. Weniger Veranstaltungen bedeuten weniger Interesse.
Weniger Interesse führt zu Mitgliederschwund. Und schon setzt sich die Abwärtsspirale in Gang. Nur dem Enthusiasmus der Vereinsführung und einiger Mitglieder ist es zu verdanken, dass dieser Trend teilweise gebremst werden kann.
Nicht alle Vereine werden die Krise überleben
Die Lage vieler Vereine ist nun sehr angespannt bis kritisch“, beobachtet Tommy Schindler. „Ihnen fehlen primär Einnahmen, die sie normalerweise durch Veranstaltungen jeglicher Art bekommen können. Veranstaltungen durchzuführen, ist eh schon schwierig genug. Wenn sie dann aber gar nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt stattfinden können, geht's ans Eingemachte. Meist sind die Vereinskassen nicht so üppig gefüllt, dass man mal eine längere Durststrecke überstehen kann.“
Frage an den Ministerpräsidenten
Jüngst hat Tommy Schindler eine Frage an den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann adressiert, im Rahmen des „goodnews4-Wahl-Talk“* von Christian Frietsch. Darin betonte Tommy Schindler, dass die Aufbauarbeit der Vereine nach dem Lockdown in finanzieller Hinsicht sicher schwer werden würde. Jedoch sei die ausufernde Bürokratie, die Flut an Vorschriften und Verordnungen der wahre Feind der Vereine. „Sehen Sie eine Möglichkeit, diese teilweise völlig sinnfreien, bürokratischen Hindernisse abzubauen?“, wollte Tommy Schindler von Winfried Kretschmann wissen.
Kretschmann verweist – auf ein Kompendium
Der antwortete daraufhin: „Der Normenkontrollrat, den wir eingeführt haben zu Beginn der Legislaturperiode, hat dazu gerade ein umfängliches Kompendium erstellt, was wir machen können, um bürokratische Hindernisse abzubauen. Herr Stadtrat Schindler, wenn Sie das noch nicht haben, schicken wir ihnen das zu.“
Ein Schreiben von Winfried Kretschmann oder gar das Kompendium hat Tommy Schindler bislang noch nicht erhalten.
Fotos: SincerelyMedia/unsplash.com/Pixabay.com