Brüssel setzt auf Tempo 20
05Juni
2020
Viele reden darüber – andere machen es einfach: Die Hauptstadt des Königreichs Belgien hat seine Innenstadt in eine verkehrsberuhigte Zone umgewandelt. Seit 11. Mai 2020 gilt Tempo 20 für Autos.
Die ganze Innenstadt ist Bummelzone
Es ist ein mutiges Experiment, denn die Autofahrer-Lobby ist auch in Belgien lautstark. Dennoch – die Stadt Brüssel hat aus der Corona-Krise für den Verkehr und seine schwächeren Teilnehmer den größtmöglichen nachhaltigen Nutzen gezogen: Sie hat den Autoverkehr stark eingeschränkt. Die Verwaltung hat die gesamte Innenstadt zur verkehrsberuhigten Zone erklärt. Der Brüsseler Bürgermeister hat Tempo 20 für Autofahrer in der Innenstadt angeordnet, für Busse gilt dieses Tempo selbstverständlich auch. Die Grenze hierfür bildet der Verkehrsring, „Petite Ceinture“, der die Innenstadt umgibt.
In der Testphase
Rund 50.000 Einwohner leben innerhalb des Rings, darin finden sich auch die bekanntesten Sehenswürdigkeiten und die große Einkaufsstraße. Der Betrieb wird, wenn die Touristen wieder kommen, enorm werden. Aktuell befindet man sich in einer Testphase. Nach drei Monaten will die Verwaltung prüfen, wie die Verkehrsteilnehmer die neue Situation empfinden. Wenn das neue Verkehrskonzept aufgeht, soll es ab Januar 2021 ausgeweitet werden. Das hieße dann eine Maximalgeschwindigkeit von 30 Kilometer pro Stunde im gesamten Stadtgebiet.
Ein Begegnungsraum, den sich alle teilen
Belgiens Verkehrskonzept umzudrehen, war ein Kraftakt: Immerhin gehört das kleine Land dank seiner Steuerpolitik zu einem der Länder mit den meisten Dienstwagen weltweit. Die Stadt Brüssel hat viele mehrspurige Verkehrsachsen, Fahrradwege waren eher Mangelware, Radfahren gefährlich. Nun ist Umdenken gefordert, im Sinne von Shared Space, FOKUS Baden-Baden berichtete schon mehrfach über dieses visionäre Konzept: Die Straßen werden zu einem Begegnungsraum, den sich alle Verkehrsteilnehmer teilen.
Das Schlüsselwort heißt – Rücksichtnahme
Sich mit Rücksicht fortbewegen, steht jetzt im Mittelpunkt. Und dies ändert die Reihenfolge in der Beachtung der Verkehrsteilnehmer: Zuerst geht es hier um Fußgänger, als schwächstes Glied, dann um Radfahrer – und dann erst dürfen Auto und Bus vorsichtig aufs Gas treten.
Stressfrei unterwegs
Damit nicht genug: Fußgänger und Radfahrer dürfen nun die komplette Fahrbahn für sich nutzen. Das führt zu einer Entschleunigung bei allen Verkehrsteilnehmern – und war in Hoch-Zeiten der Corona-Krise hilfreich, um den geforderten Abstand auch in den teils engen Straßen einhalten zu können.
Tschüss, Ampelschaltung
Wie der Verkehr geregelt ist? Alle Ampeln wurden abgestellt, sie zeigen lediglich ein gelbes Blinken. 170 Schilder erklären die neue Verkehrssituation. Bis sich alle an die neue Situation gewöhnt haben, wird es noch eine Weile dauern. Die „Zeit“ berichtete in einer Reportage, dass die Fußgänger noch ängstlich seien und erst noch lernen müssten, dass sie Priorität haben.
Übrigens: Eine ganze Autospur wurde bereits in eine Radfahrspur umgewandelt, auf der Rue de la Loi – der Straße des Gesetzes. Ob das ein Zeichen dafür ist, dass nun unwiderbringlich neue Zeiten anbrechen?
Foto: pixabay.com_dimitrisvetsikas1969/Ben Becher