Überlebt die Kulturbranche die Pandemie?
10November
2020
Einer der ganz Großen im Musikgeschäft hat sich zu Wort gemeldet: Till Brönner, international bekannter Jazz-Trompeter und Fotograf. Er macht auf den Notstand der Bühnenkünstler aufmerksam. Eine riesige Branche kämpft gerade ums Überleben.
Deutschland bekanntester Jazztrompeter ist gut im Geschäft. Gerade hat er sein neues Album abgeliefert. Der Jazz-Trompeter hat schon im Weißen Haus gespielt und macht eine beachtliche Karriere. Ende November sollte der schöne Mann mit dem Entertainer-Gen im Festspielhaus auftreten. Am Tag der Verkündung des Teil-Lockdowns appellierte Till Brönner in einem YouTube-Video an die Verantwortung für die Kulturbranche. So viele Bühnenkünstler kämpften ums Überleben. Und, ja, in vielen Städten werden die leeren Theater und Konzerthäuser abends wieder ihre Räume blutrot anleuchten, um auf die katastrophale Krise im Kulturbetrieb aufmerksam zu machen.
Von der Politik im Stich gelassen
Till Brönner spricht mit Verve: „Eine ganze Branche wird lahmgelegt, Bühnenkünstler äußern sich vorsichtig, obwohl ihre Existenz auf dem Spiel steht. Es ist an der Zeit, klarzustellen, worüber wir hier sprechen. Denn es geht hier nicht um Selbstverwirklicher, sondern um uns alle und es geht um Geld, viel Geld! Ich bin Künstler, aber auch Arbeitgeber und Familienvater und Leistungsträger einer Nation, die sich auch gern selbst das Land der Dichter und Denker nennt. Ich konzertiere seit vielen Jahren weltweit und empfinde mich als Botschafter eines Landes, das von vielen Künstlern verehrt wird. Vor diesem Hintergrund ist es umso skandalöser, welch unwirklichem Schauspiel wir beiwohnen müssen.“
Das erste Mal in seinem Leben gebe er ein derartiges Statement ab, weil er das Gefühl habe, handeln zu müssen: „Wir beobachten insgesamt seit Beginn der Pandemie, dass uns immer wieder Versprechungen gemacht werden.“
1,5 Millionen Menschen sind betroffen
Und er betont: „Wir sind über 1,5 Millionen Menschen, deren Broterwerb mit Tag eins der Pandemie nachvollziehbarerweise abgeschaltete wurde. Ein Wirtschaftszweig mit einem Gesamtumsatz von 130 Milliarden Euro. Wenn ein gesamter Berufszweig per Gesetz gezwungen wird, seine Arbeit zum Wohle der Allgemeinheit ruhen zu lassen, dann muss doch die Allgemeinheit dafür sorgen, dass diese Menschen nach der Pandemie noch da sind? Wie kann man einzelnen Konzernen Milliarden in den Vorgarten werfen und der Veranstaltungsbranche Arbeitslosengeld II anbieten?“ Die schnellen Hilfen gingen an der Lebenswirklichkeit von Künstlerinnen und Künstlern fundamental vorbei, erklärte Brönner. Sein trauriges Resümee: „Ich glaube nicht, dass die Branche so lange durchhält wie uns die Pandemie in Atem halten wird.“
„Das Land steht kulturell still“
Brönner geht es „um Gerechtigkeit, um 130 Milliarden Umsatz und um viele, viel Menschen. Wir sind keine Minderheit. Wir liegen auf Platz zwei der Beschäftigtenzahlen. Bis heute gibt es kein funktionierendes Hilfsprogramm. Was hier gerade passiert, verstößt gegen all das, was ich über dieses Land gelernt habe. Das Land steht kulturell still.“
„Kultur ist ein Menschenrecht“
Sein Appell: „Nehmen wir uns und unsere Errungenschaften ernst. Kultur ist kein Luxus, sondern ein Menschenrecht und spült Geld in die Kassen des Staates. Das wussten Politiker schon in der Antike.“
Stampa, Steinmeier und die Bürger
Mehr Einsicht, dass Konzert, Theater und Ballettaufführungen mehr seien als Freizeitvergnügen, die aktuell von der Regierung untersagt werden: Dafür wirbt auch Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses. Vielen Bürgern fehlen Theater, Kino, Konzert schmerzhaft: Der Anteil derer in Deutschland, die die Einschränkungen im Kulturbetrieb aktuell für angemessen halten, sank laut „Corona-Monitor“ des Bundesinstituts für Risikoforschung gerade auf einen Tiefstwert (71 Prozent). Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier titulierte Kultur kürzlich als „Lebenselixier“. Doch, was passiert mit einer Gesellschaft, wenn ihre Kultur stirbt: Stirbt sie dann auch?
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