Überlebt die Kulturbranche die Pandemie?

04September
2020

Sehr sorgfältig hat sich das Theater Baden-Baden auf die neue Spielzeit vorbereitet. Mögen die Gäste zahlreich sein! Strenge Auflagen müssen die Bühnen in Baden-Württemberg erfüllen: Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses, äußert sich kritisch über die verschiedenen Regelungen in den Bundesländern. Nur ein Fünftel der Plätze darf im Festspielhaus besetzt werden.

Drei weiße Hussen – dann darf man Platz nehmen. Dann folgen wieder drei weiße Hussen, die markieren, welche Plätze frei bleiben müssen – bis der nächste Besucher, das Paar oder die Familie sich niederlassen darf. Das Theater Baden-Baden eröffnet am Samstag, 12. September mit dem Theaterfest die neue Saison. Und es werden neue Spielregeln in dieser Spielzeit gelten: Alles ist sorgsam vorbereitet, damit die Gäste „Der Menschenfeind“, „Discotopien“, „Mephisto“ und vieles mehr unbeschwert genießen können.

Keine 100 Zuschauer im Theater

Nur noch 99 Personen dürfen gleichzeitig eine Aufführung ansehen, nur jede zweite Zuschauerreihe wird besetzt werden. Man hofft auf viele Gäste. „Wir freuen uns über jeden einzelnen“, betonte Chefdramaturgin Kekke Schmidt gerade. Und es ist den Künstlern auf und hinter der Bühne nur zu wünschen, dass die 99 Plätze jeden Abend besetzt sein werden.

Lieber auf Nummer supersicher

Grundsätzlich könnte nach Angaben deutscher Bühnen- und Musikverbände jeder zweite Platz in Konzert- und Theatersälen unter Einhaltung der Corona-Regeln besetzt werden. Doch man geht in Baden-Baden lieber auf Nummer supersicher.

„Intensiviertes Veranstaltungsangebot“ der Philharmonie

Auch die Philharmonie lädt zur neuen Spielzeit. Am 11. September wird es im Weinbrennersaal ein philharmonisches Konzert geben. Doch bereits heute startet die Philharmonie Baden-Baden nach ihrer Sommerpause mit einem intensivierten Veranstaltungsangebot in die neue Saison, unter Einhaltung des Corona-Hygienekonzepts mit begrenzter Personenzahl.

Kritische Töne des Festspielhaus-Chefs

Benedikt Stampa ist nicht nur Intendant des Festspielhauses, sondern auch Sprecher der Konzerthaus-Konferenz. Diese setzt sich für den Erhalt, den Ausbau und die Weiterentwicklung des deutschen Konzertlebens ein. 13 Konzerthäuser in Deutschland sowie vier weitere in Österreich, Luxemburg, den Niederlanden und der Schweiz sind Mitglieder. Stampa äußerte sich in dieser Rolle kritisch über die unterschiedlichen Auslastungsregeln der Bühnen in den einzelnen Bundesländern: In einem Konzerthaus in Nordrhein-Westfalen dürfen rund 1.000 Plätze belegt werden, in Bayern maximal 200 und in Baden-Württemberg höchstens 500 Besucher. „Diese Ungleichbehandlung führt zu einer strukturellen Schieflage innerhalb der deutschen Konzertlandschaft und ist wirtschaftlich wie künstlerisch höchst problematisch.“ Für die Veranstaltungen der neuen Saison wird der Saalplan im Festspielhaus von fast 2.500 auf 500 Plätze reduziert, damit die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände eingehalten werden können.

Es könnten mehr Gäste eingelassen werden

Zahlreiche Bühnen- und Künstlerverbände fordern von Bund und Ländern mehr Augenmaß bei der Zulassung von Publikum in geschlossenen Räumen unter COVID-19-Bedingungen. Sorgfältig erarbeitete Hygienekonzepte in den Häusern lassen häufig mehr Publikum zu, als es die starren Sitzplatzbeschränkungen vielerorts vorschreiben.

John Neumeier sorgt für ein Licht der Hoffnung

Nach Monaten der geschlossenen Festspielhauspforten beginnt am 8. Oktober nun auch dort die neue Saison, und das mit einem Leckerbissen: dem Ballett „Ghost Light“ von Star-Choreograph John Neumeier und dem Hamburg Ballett. „Ghost Light“ nannte man früher ein kleines Licht, das nachts auf den Bühnen der Theater brannte, damit keiner verunglückte. Das symbolische Licht der Hoffnung können Künstler und Kulturbetriebe jetzt, in der neuen Normalität, gut brauchen.

Und wir Normalsterbliche – wir brauchen Kultur. Weil sie uns kultiviert! Wie formulierte es Johann Wolfgang von Goethe so schön? „Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen.“ In diesem Sinne wünsche ich uns allen einen trefflichen Herbst!

Fotos: Ben Becher