Welterbe und Gesundheit
06August
2021
„Baden-Baden ist als Ort der Badekultur in den Kreis der Welterbe-Städte aufgenommen worden. Das ist ein großer Erfolg, wofür wir die Initiatoren der Idee und die fleißigen Projektmanager beglückwünschen“: Dr. Irma Tilemann und Dr. Ulrich Zier äußern sich hier, stellvertretend für den Badeärztlichen Verein Baden-Baden e.V. Und empfehlen mehr Einsatz für den Kurgedanken.
Der Kurgedanke gehört seit Jahrtausenden zu uns
„Wir sollten ebenso nicht vergessen, unseren Vorfahren, die sich für die Gesundheit und das Wohlergehen der Baden-Badener Gäste eingesetzt haben, dankbar zu sein“, betonen die Ärzte. „Diese haben von der Römerzeit über das Mittelalter bis in die Neuzeit den Bäder- und Kurgedanken gelebt und vorangetrieben: Bevölkerung und Fürsten, Bader, Badeärzte, Kurdirektoren und Hoteliers. Was ist aus dieser 2000 Jahre alten Bädergeschichte geblieben?
Welches Konzept besteht heute?
Ein stetiger Abwärtstrend des hiesigen Kurortwesens begann vor rund 40 Jahren. Ausdruck des Zeitgeistes war, dass das Wort Kur von Verantwortlichen in Hotel und Touristik tabuisiert wurde. Zu eng war die Kur mit Krankheit, Armut, Alter und Krücken assoziiert. Lieber wollte man Wellness, assoziiert mit gesund, reich und schön.
Plötzlich hatte die Kur ein Geschmäckle
Kurdirektoren wurden abgeschafft, Badeärzte für Wellness nicht mehr benötigt. Caracalla-Therme und Friedrichbad wurden den Vorstellungen der privaten Pächter überlassen. Die Kurortentwicklung und -koordination hatte keine Heimstätte mehr. Der Begriff Kurort gehört heute der Vergangenheit an.
Die Rheumaklink steuern Chinesen
Ein weiteres Beispiel aus Baden-Baden für den Paradigmenwechsel der letzten Jahrzehnte ist die „Rheumaklinik Baden-Baden“, ehemals Landesba“, jetzt Acura-Klinik genannt. Diese Klinik war in den 1980-er und 1990-er Jahren eine der führenden Rheumakliniken Deutschlands. Ihr damaliger Chef Prof. Martin Franke machte sie international berühmt und begehrt. Wer weiß Bescheid über das Konzept der heutigen chinesischen Besitzer?
Und wo bleibt das Wohl des (Kur-)Gastes?
Seit Jahrzehnten gibt es in Baden-Baden keine durchgängige Betreuung eines Kurgastes mit den ansässigen Kurmitteln, z.B. mit Thermalwasser. Sucht ein Kurgast Heilung, benötigt er normalerweise eine Untersuchung, Beratung, Kurplanung, Räumlichkeiten und Personal in der Durchführung, Überwachung des Kurverlaufs und des Ergebnisses. Dies ist seit langem in Baden-Baden nicht möglich. Privatzahler stoßen eher zufällig auf Angebote, für gesetzlich Versicherte gibt es keine Leistungen. Auch das spricht sich bei Kurgästen herum!
Die Betreuung war einst vorbildlich
In früheren Zeiten begleiteten zahlreiche Bader und Badeärzte die Gesundheit und Erleichterung Suchenden. Es gab verschiedene berühmte und als Magnet wirkende Badeärzte, die den Bau von Therapieeinrichtungen mitbestimmten. Je nach Zeit, Wissenstand, Erfordernissen und Mode änderten sich die durchgeführten Therapien und die dafür benötigten Bauten. Mit ihrem Wissen und ihrer Heilkunst begleiteten sie über Jahrhunderte die Kurgäste, die regelmäßig Baden-Baden für einen längeren Zeitraum besuchten.
Der neue Titel muss auch die Menschen einbeziehen
Weltkulturerbe besteht nicht nur aus Gebäuden und Denkmalpflege! Die Gebäude waren mit Leben erfüllt, mit Menschen, die Heilung, Linderung und Anregungen suchten, und mit ihren Dienstleistern. Diese bereicherten die Stadt und ihre Einwohner mit ihrer Anwesenheit in jedem Sinne.
An Traditionen anknüpfen
Unsere weltweit bekannte Kur- und Bäderstadt sollte gerade nach der Nominierung als Welterbestätte wieder an alte Traditionen anknüpfen und diese weiterentwickeln. Wir Badeärzte (auch die im Ruhestand) stehen jederzeit mit Rat und Unterstützung zur Verfügung.“
Fotos: bad-mergentheim.de_Bjoern Haenssler/Ben Becher/pixabay.com