Tafeln in Bedrängnis: Die Not wächst
24Juni
2022
Die fast 1000 Tafelläden in Deutschland sehen sich dem stetig wachsenden Andrang, der durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sowie steigende Lebensmittelpreise verursacht wird, derzeit nicht gewachsen. Das trifft jene hart, die von preiswerten Lebensmitteln abhängig sind.
Nicht nur in Baden-Baden versucht die Tafel mit Leibeskräften all diejenige, die sich keine Lebensmittel zu regulären Preisen leisten können, mit dem Notwendigsten zu versorgen – FOKUS Baden-Baden berichtete. Der Tafelladen am Brahmsplatz musste – wie viele andere auch – jüngst erklären, keine Neukunden mehr annehmen zu können, es mangele an Arbeitskräften. Innerhalb kürzester Zeit hatte sich die Kundschaft nahezu vervierfacht.
Überforderung im ganzen Land
Doch auch im Rest der Republik kann das Angebot die immense Nachfrage nicht befriedigen: Vielerorts hat sich der Andrang mindestens verdoppelt. In Bayern hat sich der Zulauf um 50 bis 150 Prozent erhöht, Sachsens Tafeln werden laut einem Sprecher „geradezu überrannt“. In Nordrhein-Westfalen ist die Menge an Tafelkunden doppelt so hoch wie vor zwei Jahren. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist hierbei Hauptursache – der Löwenanteil der Neuzugänge besteht aus ukrainischen Geflüchteten.
Abgabe von Verantwortlichkeit von Seiten der Behörden
Die Zuständigkeit bei der Lebensmittelversorgung für von Armut Betroffene liegt bei staatlichen Behörden. Die Tafel ist keine solche Einrichtung, sondern eine gemeinnützige Hilfsorganisation, die auf freiwilliger, ehrenamtlicher Hilfe beruht. „Es kann nicht sein, dass Behörden auch im vierten Monat des Krieges Geflüchtete immer noch an die Tafeln verweisen, statt selbst helfen zu können“, so Jochen Brühl, Vorsitzender der Tafel Deutschland. „Wir helfen in Krisensituationen nach Kräften, aber wir können nicht die erste und einzige Anlaufstelle sein.“ Dadurch, dass einige Sozialämter Geflüchtete an die Tafel weiterleiten, erwecke es den Anschein, als liege die Zuständigkeit in Sachen Lebensmittelversorgung bei den Tafeln – dies ist jedoch nicht der Fall.
Entlastung für die Tafeln?
Um insbesondere die ausländischen Tafelkunden darauf aufmerksam machen zu können, dass sie auch von staatlicher Seite Hilfsanspruch haben – seit dem 1. Juni besteht für ukrainische Geflüchtete Zugang zu Mindestsicherung nach dem Sozialgesetzbuch II – sollen Mitarbeitende der Tafeln nun besonders geschult werden. Tafeln seien laut Bundessozialministerium „Orte der Begegnung“, an diesen die Bedürftigen auf ihre Ansprüche und Rechte aufmerksam gemacht werden sollen. Von besserer Aufklärung in Sachen Sozialleistungsansprüche verspricht man sich eine effizientere Verteilung: „Die tatsächliche Inanspruchnahme bestehender Sozialleistungsansprüche trägt letztlich auch zur Entlastung der Tafeln bei“, so die Ministeriumssprecherin.
Hilfe durch Ehrenamt
Das Bundesinnenministerium bezeichnet das Ehrenamt als unerlässlich für „den gesellschaftlichen Zusammenhalt ebenso wie für die Stärkung demokratischer Werte und Haltungen.“ 27 Prozent der berufstätigen Deutschen üben laut Statista derzeit ein Ehrenamt aus und opfern Zeit und Kraft dafür, anderen Leuten zu helfen. Für die Tafeln in Deutschland sind diese Freiwilligen unerlässlich – mehr als 60.000 Ehrenamtliche ermöglichen die gemeinnützige Arbeit und den Kampf gegen den Hunger. Wer also bei der Tafel in Baden-Baden mithelfen möchte, kann helfen, die Not seiner Mitmenschen zu lindern.
Fotos: Ben Becher