„Schule ist weit mehr als pauken“

03Juli
2020

Seit Montag ist wieder Regelbetrieb an den Grundschulen. Wie läuft es? Und welche Bedeutung hat Schulunterricht vor Ort? Evi Wandler, Rektorin an den Grundschulen Varnhalt und Neuweier, über die Kultureinrichtung Schule.

Frau Wandler, Sie sind Rektorin zweier Grundschulen. Wie sieht aktuell der Schulbetrieb dort aus?
 
Evi Wandler: „Die Kinder kommen seit Montag täglich vier Stunden zum Regelbetrieb in die Schule. Seit 18. Mai hatten wir zunächst einen eingeschränkten Schulbetrieb, da kamen erst mal nur die Viertklässler. Hinzu kamen später weitere Kinder, rollierend, sie wurden drei Stunden unterrichtet, in kleinen Gruppen.“

Was mussten Sie alles tun, um die Corona-Verordnungen einzuhalten?

Evi Wandler: „Im Vorfeld haben wir viele Maßnahmen getroffen, um diese einzuhalten. Anfangs haben wir die Wege mit Sperrbändern genau gekennzeichnet: Wo gehen die Kinder rein und raus? Wie gehen sie zur Toilette, damit sie nicht unnötig in Kontakt mit anderen kommen. Vor Schulbeginn mussten sie draußen an verschiedenen Eingängen warten, ein Gymnastikreifen für jedes Kind auf dem Boden des Pausenhofs half den Kindern, den vorgeschriebenen Abstand einzuhalten. Die Pausen verbrachten sie mit ihren Lehrerinnen auf verschiedenen Plätzen des Schulhofs und spielten dort eigens angeschaffte Spiele, die auch mit Abstand funktionieren.“

Wie läuft es es nun seit Montag?

Evi Wandler: „Seit Montag sind nun alle Kinder wieder da. Sie mussten eine Gesundheitsbescheinigung mitbringen, dass es in den vergangenen 14 Tagen keine Corona-Symptome hatten oder krank waren. Die Abstandsregelungen unter den Kindern müssen nun nicht mehr eingehalten werden, wohl aber die Hygieneregeln. Alle Klassen verbleiben am Vormittag im Klassenverband. Unterrichtsbeginn und Pausen fangen zeitversetzt an. Viele Lehrer tragen Schutzvisiere oder einen Mundschutz. Klassenarbeiten werden aktuell nicht geschrieben. Die Kinder haben keinen Sport und keine Musik, lediglich die Kernfächer. Doch ich werde mit den Kindern malen, die Kinder müssen unbedingt mal wieder Kunst haben. Wir absolvieren auch kleine Bewegungsrituale. Schule funktioniert nicht ohne Bewegungszeit. Außerdem gehen wir viel nach draußen, etwas zum Lesen.“

Wie haben Sie die Wochen vorher gestaltet?

Evi Wandler: „Da wurden die Kinder alle zwei Wochen beschult, dazwischen war Fernlernen angesagt. Die Viertklässler sind in kleinen Gruppen gekommen. Es waren immer nur zwei Klassenstufen anwesend. Es gab aber eine Notbetreuung für Kinder von Eltern im systemrelevanten Betrieb. Die Lehrer haben den Kindern ständig geschrieben, telefoniert, auch mal Videokonferenz gemacht. Eine erste Klasse hat mir zu Ostern einen ganz lieben Videogruß geschickt und ein Ostergedicht aufgesagt. Man spürte, jeder wollte alles richtig machen. Bei mir lief das Telefon heiß. Jetzt sind wir alle froh, wieder beisammen sein zu dürfen.“

Wo gab es Probleme?

Evi Wandler: „Wir haben zum Glück große und auch ausreichend Räume, das hat sehr geholfen. Allerdings hatte ich weniger Kolleginnen als sonst zur Verfügung, weil einige zu den Corona-Risikogruppen gehörten.“
 
Wie erleben Sie die Kinder, die jetzt wieder zur Schule dürfen?

Evi Wandler: „So ganz am Anfang nach den Pfingstferien, als die Erstklässler wieder kamen, saßen die Kinder ganz brav und fast ein wenig verunsichert auf ihren Plätzen. Man merkte, die Eltern hatten alles zuhause durchgesprochen mit den Kindern. Die Hygieneregeln hatten wir vorher nach Hause geschickt. Ich habe sehr süße Szenen erlebt zwischen den Kindern, eins fragte etwa das andere: ,Läufst du mit mir auf Abstand heim?’ Am Anfang war es ein ganz ruhiger Betrieb. Seit Montag, da alle wieder da sind, ist es anders. Die Erstklässler waren freudig, alle Mitschüler wieder zu sehen, sie waren wuseliger als sonst. Es hat alles gut geklappt, auch wenn ich glaube, der erste Tag war für alle anstrengend. Ich bin dann auch mit den Kindern raus auf den Pausenhof. Bewegung tut den Kindern immer gut.“
 
Und wie erleben Sie die Eltern?

Evi Wandler: „Sehr nett und dankbar habe ich sie erlebt. Zwischendurch gab es immer wieder Gespräche mit den Elternsprechern. Es war eine tolle Kooperation, ich habe mich auch immer wieder bei den Eltern bedankt. Denn die mussten zuhause ja Einiges leisten. Doch sie haben die Zeit des Fernlernens ganz unterschiedlich empfunden. Ein Vater erzählte mir, er und seine Frau hätten beide im Home Office gearbeitet und außerdem die Kinder betreut. Das sei schon sehr anstrengend gewesen. Doch andere Eltern sagen: ,Ich habe eine ganz tolle Beziehung zu meinem Kind bekommen.’ Es gibt wirklich beides. Jetzt merkt man, den Eltern reicht es mit Homeschooling. Und auch den Kindern, die wollen endlich wieder miteinander spielen.“

Haben Sie Online-Unterricht für die Kleinen angeboten?

Evi Wandler: „Ja, das haben wir gemacht, aber nur bedingt. Denn für die ganz Kleinen ist das nur bedingt geeignet. Die Kinder haben Arbeitsmaterialien bekommen, die in der Schule abgeholt werden mussten. Freitags wurden die Aufgaben wieder gebracht und übers Wochenende von den Lehrkräften korrigiert. Montags gab es dann neue Aufgaben. Eine unserer Lehrerinnen hat den Kindern ein Gedicht aufgegeben, das sie sich dann per Telefon hat aufsagen lassen. Die Kinder haben sich sehr über die Anrufe gefreut, gerade die ganz Kleinen. Überhaupt haben die Kinder ganz liebe Dinge gemacht: Oft lagen Briefchen oder Blümchen für die Lehrer vor der Schultür.“
 
Welches Resümee würden Sie ziehen, nach all den Monaten Homeschooling? 

Evi Wandler: „Schule ist viel mehr als pure Wissensvermittlung. Hier lernt man auch ganz viel von den anderen, nicht nur von den Lehrern. Man lernt, vor anderen zu stehen, um etwa sein Lieblingsbuch vorzustellen. Man erlebt Mitgefühl, etwa, wenn das Haustier eines anderen Kindes gerade gestorben ist. Dann kann man trösten und damit sehr helfen. Das soziale Miteinander lernt man eben in der Schule und nicht vor einem Computer. Lernen bedeutet zu forschen, auszuprobieren, kreativ sein, im Team arbeiten und Rückmeldung bekommen. Doch eines muss ich sagen: Die Eltern haben unheimlich viel gemacht, ihnen gilt mein Dank und mein Lob.“
 
Und was wünschen Sie sich für Ihre Schützlinge?

Evi Wandler: „Dass sie freudig zur Schule gehen, dass sie gern lernen und spüren, wie viel Spaß Lernen machen kann, wie vielfältig es sein kann und wie lustig.“
 
Sie sind Pädagogin aus Leidenschaft und wer Sie schon mal in der Schule erlebt hat, weiß: Die Kinder lieben Sie. Welchen Auftrag hat Schule?

Evi Wandler: „Schule ist ja nicht nur Mathe pauken. Kinder haben Bedürfnisse nach Gemeinschaft, sind neugierig, haben einen großen Forscherdrang. Kinder lernen von anderen Kindern ganz viel: Da hat einer eine Idee, dann weiß der andere auch noch was. Sie lernen auch, Konflikte zu lösen. In einer Schulgemeinschaft passiert viel mehr, als Lernblätter auszufüllen. Aufgabe der Schule ist auch, Kultur zu bilden. Genau das fehlt, wenn man nicht in die Schule gehen kann. Ich sehe in der Schule noch einen viel weiter gefassten Auftrag als reine Wissensvermittlung. Schule ist eine Kultureinrichtung, die den Kindern Rituale bietet und Verlässlichkeit. Kinder sind keine Fässer, die einfach mit Stoff gefüllt werden, und fertig. Wir wollen sie begeistern, motivieren, ihre Lebens- und Lernfreude schüren! Lernen findet mit allen Sinnen statt, da spielen auch Fächer wie Musik, Theater, Tanz oder Kunst eine große Rolle – und dies zu leisten, ist die Aufgabe der Schulen.“

Fotos: FBB-Archiv