„Käufer sollten wissen, was für eine ungeheure Macht damit verbunden ist, Geld auszugeben“
23Juni
2020
Josua Straß arbeitete in den schlimmsten Monaten der Corona-Krise täglich bis zu 15 Stunden, um seine Kunden per Fahrrad mit Lesestoff zu versorgen. Interview mit einem belesenen Menschen.
Herr Straß, auch Ihr Geschäft war eine Zeitlang geschlossen, Corona-bedingt. Wie hat sich das auf Ihren Umsatz ausgewirkt?
Josua Straß: „Na ja, eigentlich waren die beiden Buchhandlungen nur einen Monat geschlossen: vom 18. März bis 20. April. Und selbst in dieser Zeit waren wir ja im Laden, zum Teil sogar länger und öfter als in normalen Zeiten. Für mich und meine Filialleiterin Tanja Eger bei Mäx+Moritz waren in den Stoßzeiten 14 bis 15 Stunden Arbeit am Tag kein Einzelfall. Mit all diesem Aufwand haben wir es im April auf fast 85 Prozent unseres Vorjahresergebnisses geschafft – und das ohne Kurzarbeit zu beantragen oder Fördergelder in Anspruch zu nehmen. Darauf und auf die Leistung meines Teams bin ich sehr stolz.“
Wie haben Sie die Baden-Badener erlebt?
Josua Straß: „Wir haben eine große Solidarität erlebt und sicherlich hat uns auch in die Hände gespielt, dass der große Online-Buchhändler um Ostern herum Bücher nicht mehr mit Priorität A verschickt hat. Und natürlich wäre es schön, wenn aus der Krise ein Umdenken stattfindet, das regionalen Anbietern zugute kommt.“
Sie und Ihr E-Bike gehören fest zum Stadtbild. Wie viel Kilometer haben Sie damit von Mitte März an zurückgelegt?
Josua Straß: „Momentan sind wir bei über 1900 Kilometern, die wir seit Mitte März mit dem E-Bike gefahren sind. Natürlich musste für entlegenere Gebiete und in Einzelfällen auch mal der Fahrer mit dem Auto einspringen. Doch rund 90 Prozent der Bücher konnten mit dem Lastenrad zugestellt werden.“
Was war Ihr weitester Lieferpunkt?
Josua Straß: „Bühl im Süden und Muggensturm im Norden.“
„Buy local“ – die Unterstützung der Geschäfte vor Ort ist wichtig, damit unsere Stadt ihre Individualität im Einzelhandel behält. Was wünschen Sie sich diesbezüglich?
Josua Straß: „Ich würde mich freuen, wenn Käufer realisieren, was für eine ungeheure Macht damit verbunden ist, Geld auszugeben. Viele sind da noch zu gedankenlos und kaufen bei großen Konzernen, die ihre Mitarbeiter nicht am Gewinn beteiligen, Steuern nicht oder nur reduziert zahlen, ökologisch und sozial nicht nachhaltig arbeiten und vieles andere mehr. Ein Anbieter, der so etwas vor Ort machen würde, wäre sofort unten durch. Bei großen Firmen wird trotzdem eingekauft, auch wenn man weiß oder ahnt, dass es eigentlich nicht in Ordnung ist...“
Was war das netteste Kompliment, das Sie auf Ihren Liefertouren gehört haben? Oder gab es ein besonders schönes Erlebnis?
Josua Straß: „Es gab eigentlich täglich sehr schöne Erlebnisse: Kinder, die an die Tür kamen und vor Freude über die Lieferung ein kleines Tänzchen aufführten. Bei heißem oder kaltem Wetter das Angebot einen Schluck zu trinken. Die Dankbarkeit für ein paar Minuten Extrazeit und ein kleines Gespräch bei Menschen, die spürbar unter der Einsamkeit litten. Und ganz oft ein freundliches Winken oder ein Dank auch von Menschen, die nichts bestellt hatten und einfach nur froh waren, mich und das E-Bike in Aktion zu sehen – das war nicht zu erwarten.“
Thema Lesen: Wie ist Ihre Einschätzung – wird in unserer Stadt viel gelesen?
Josua Straß: „Baden-Baden eine Stadt mit einem hohen Bildungsniveau und vielen Anspruchs- und Unterhaltungslesern. Und wir erleben vom wissenschaftlichen Lesen bis hin zum Erholungslesen das ganze Spektrum, durchaus auch bei ein und der selben Person – was ich übrigens ganz wichtig und völlig normal finde.“
Sie lesen pro Monat rund zehn Bücher. Welche drei Werke können Sie uns für die Sommerferien empfehlen?
Josua Straß: „Als Roman ,Mariannengraben’, ein ebenso trauriges wie komisches Debüt der jungen Autorin Jasmin Schreiber, die mich mit ihrem Erstling sehr beeindruckt hat.
Für Krimi-Leser empfehle ich ,Mind Games' von Leona Deakin: ein großartig konstruierter Psychothriller, der ohne Schock-Effekte auskommt, aber von der ersten bis zur letzten Seite in seinen Bann schlägt.
Und für all diejenigen, die ein Sachbuch bevorzugen: ,Gehen. Weiter Gehen' von Erlin Kagge, das mir gerade in der Lockdown-Zeit ebenso Ruhe wie Antrieb gegeben hat.“
Foto: FBB-Archiv