„Die Zeit der preiswerten Energie ist vorbei“

20Mai
2022

Die Aussichten auf dem Energiemarkt sind düster. Auch wenn im Juli kurzzeitig die Preise für Strom günstiger werden: Die Gaspreise werden bereits 2022 weiter anziehen, die Strompreise ab 2023 ebenso. Nicht nur auf die Verbraucher kommen unsichere Zeiten zu. Interview mit Helmut Oehler, Chef der Baden-Badener Stadtwerke.

Herr Oehler, aus Russland kommt weniger Energie zu uns. Die Preise ziehen kräftig an. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Helmut Oehler: „Bereits im Herbst 2021 fing der globale Preisanstieg an. Jetzt kommt noch die Ukraine-Krise dazu. Das führt dazu, dass unter Umständen der Gasimport aus Russland nach Deutschland weiter gestört wird. Die Mengen, die zu uns gelangen, sind schon kleiner geworden, aber das konnte kompensiert werden durch Lieferungen etwa aus Norwegen. Dennoch: Im Winter könnten wir in eine Gasmangel-Lage kommen. Es gibt den Notfallplan Gas von der Bundesrepublik. Dieser kennt drei Eskalationsstufen. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, hat die erste Stufe bereits ausgerufen. Aktuell jagt eine Krisensitzung die nächste. Die Energieversorgung für den kommenden Winter lässt uns nicht gerade ruhig schlafen. Leider kann auch das LNG (verflüssigtes Erdgas), das an den neuen Terminals in Deutschland ankommen wird, die Menge Gas, die aus Russland fehlt, nicht vollumfänglich ersetzen. Wir würden unsere Volkswirtschaft stark schwächen, wenn wir kein russisches Gas mehr kaufen würden, weil viele Betriebe dann nicht mehr produzieren könnten. Dieses Thema muss man zu Ende denken. Doch das moralische Dilemma, russisches Gas zu beziehen, bleibt.“

Was tut sich an der Preisfront?

Helmut Oehler: „Ab 1. Juli 2022 wird der Strom billiger, dank der EEG-Umlage, die wegfällt. (Anmerkung der Redaktion: Mit der EEG-Umlage wird der Ausbau der Erneuerbaren Energien finanziert). Das wird bundesweit erfolgen. Um 3,7 Cent wird der Strompreis dann fallen. Das ist eine Reduzierung von mehr als 10 Prozent. Die Kunden können sich daran rund ein halbes Jahr erfreuen. Doch der Preistrend weist leider stark nach oben. Im Sommer 2021 kostete die Kilowattstunde Strom auf dem Großhandelsmarkt noch 6 Cent. Jetzt sind wir bereits bei 23 Cent, Stand heute. Das ist fast viermal so hoch. Auch die Kurve für die Gaspreise ist steil nach oben gegangen: Im Sommer 2021 waren wir noch unter 2 Cent. Heute liegen wir über 9 Cent. Ab spätestens 1. Januar werden die Strompreise bei uns kräftig steigen. Unsere Kunden profitieren aktuell noch von den günstigen Preisen, doch wir werden unsere Preise erhöhen müssen, das Gas bereits im 2. Halbjahr 2022. 2023 werden die Strompreise dann signifikant höher werden: deutlich mehr als 10 Prozent. Das trifft auch aufs Gas zu. In manchen Regionen Deutschlands wird ab diesem Herbst der Gaspreis sogar um 50 Prozent nach oben schnellen. Wir sind also immer noch günstiger als viele andere Anbieter.“

Von der Regierung heißt es, Industrie und Privathaushalte sollten rund 10 Prozent Energie sparen – für Städte gilt das ja wohl auch. Weimar etwa wird ab 1. Juni Straßenbeleuchtung reduzieren. Was haben Sie unternommen, um in Baden-Baden Strom zu sparen?

Helmut Oehler: „Wir haben vor, im kommenden Jahr im Bertholdbad die Glasfront auszutauschen. Damit könnten wir bis zu 30 Prozent Energie sparen. Das mit der Straßenbeleuchtung sehe ich kritisch. Denn die Bürger wollen sich sicher auf den Straßen bewegen und abends nicht durch dunkle Gassen laufen. Was wir aber bereits tun, ist, dass wir die Beleuchtungsstärke zu bestimmten Zeiten herunterfahren. Das ist aber auch eine Entscheidung der Stadt. Im Schwimmbad haben wir die Temperatur bisher noch nicht abgesenkt. Auch wegen des Schulschwimmens. Im Herbst werden wir uns überlegen, wie wir mit dem Thema Hallenbad umgehen werden. Unsere Freibäder sind glücklicherweise solarbeheizt. Man wird sich viele Fragen stellen müssen: Wie warm muss ein Klassenzimmer sein? Es wird aktuell bereits über eine Anpassung der Arbeitsplatztemperatur diskutiert. Dann könnte der Anspruch auf 21 Grad fallen.“

Wo kann man noch ansetzen? An welche Maßnahmen wird in BAD gedacht?

Helmut Oehler: „Das Fachgebiet Gebäudemanagement untersucht bereits, wo es Einsparungsmöglichkeiten in öffentlichen Gebäuden gibt. Wir werden auf dem Kühlsee in Sandweier eine schwimmende Photovoltaik-Anlage bauen und hoffen, dass diese nächsten Sommer in Betrieb gehen kann. Wir haben auch bereits Ermittlungen getätigt, um mögliche Freiflächen für Photovoltaik-Anlagen zu finden, etwa nahe der Autobahn. Wir prüfen weiterhin, auf welchen kommunalen Gebäuden wir solche Anlagen weiterhin bauen können. Und wir beraten natürlich auch Privatpersonen, die eine Photovoltaik-Anlage auf ihr Dach bauen wollen. Aktuell haben wir hier Lieferzeiten von einem Jahr. Wir stellen nun einen weiteren Ingenieur ein oder eine Ingenieurin, um die Nachfrage der Bürger bedienen zu können. Allerdings haben wir gar nicht genug Handwerker, die den Bedarf abarbeiten können. Weiterhin haben wir in Baden-Baden 47 öffentliche Ladenpunkte für E-Autos. Die Elektromobilität boomt. Die Stadt Baden-Baden hat außerdem beschlossen, im Rahmen des Klimaaktionsplanes ein neues, zusätzliches Förderprogramm, etwa für die energetische Gebäudesanierung oder den Austausch von Ölheizungen sowie die Unterstützung von privaten PV-Anlagenaufzulegen.“

Was steht uns Privathaushalten im Winter bevor?

Helmut Oehler: „Was im Winter passiert, kann ich nicht vorhersagen. Dass es Sinn macht, die Heizung herunterzuregeln und sich zu Hause wärmer anzuziehen, hilft bereits. Pro ein Grad niedrigere Raumtemperatur zu Hause kann man bis zu fünf Prozent Energie einsparen. Auch wenn man alle Lampen gegen LEDs auswechselt, hat man schon viel gewonnen. Jeder ist in der Lage, locker 10 Prozent Energie im eigenen Haushalt einzusparen. Und genau das ist das Gebot der Stunde, denn die Zeit der preiswerten Energie ist vorbei.“

Was würde passieren, wenn wir nicht mehr genug Gas bekommen?

Helmut Oehler: „Im Falle einer Gasmangel-Lage würde die Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler fungieren und entscheiden, wer noch Gas bekommt. Geschützte Kunden wie etwa Krankenhäuser würden vorrangig behandelt. Hallen- oder Spaßbäder müssten schließen. Als Branche bereiten wir uns als alle Eventualitäten vor, auch auf Extremsituationen. Und wir haben bereits mit energieintensiven Kunden gesprochen. Im Extremfall hätte die Bundesnetzagentur sogar die Möglichkeit, einige Ortsteile vom Netz zu nehmen. Doch wenn ein Gasnetz erstmal leergelaufen ist, dauert es Monate, bis es wieder hochfährt. Hoffen wir also, dass es nicht so weit kommt und tun wir alle etwas dafür, um Energie zu sparen. Es ist fast immer rentabel, hochgedämmte Fenster einzubauen. Und eine alte Heizung gegen eine neue, moderne zu tauschen. Allein dadurch kann man locker 15 bis 20 Prozent Heizkosten sparen.“

Was ist Ihre persönliche Konsequenz in Sachen Energie sparen?

Helmut Oehler: „Ich fahre schon lange ein Elektroauto als Dienstwagen. Meine Frau und ich haben längst angefangen, die Raumtemperatur herunterzuregeln. Und das war im Winter dann nicht gerade eine Komfort-Temperatur. Weiterhin kaufen wir vor allem regionale Produkte. Unser Mineralwasser machen wir mit einem Sprudler selbst. Mir graut es vor Diesel-Lkw, die durch ganz Europa fahren, um Mineralwasser hin- und herzufahren. Das muss nicht sein. Online-Käufe machen wir auch so gut wie gar nicht mehr, sondern wir schauen, dass wir den lokalen Einzelhandel unterstützen.“

Foto: Helmut Oehler