„Das Miteinander-an-einem-Strang-Ziehen macht Mut“
26Januar
2021
Mechthild Jacobs ist Musiklehrerin an der Klosterschule vom Heiligen Grab in Baden-Baden. Im Interview berichtet sie vom Schulalltag während des Lockdowns.
Frau Jacobs, wie sieht Ihr Alltag als Gymnasiallehrerin im zweiten Lockdown aus?
Mechthild Jacobs: „Ich unterrichte von daheim per Videokonferenz oder per Schriftwechsel im Chat, ganz strikt nach meinem normalen Stundenplan. Nach Unterrichtsschluss beantworte ich Fragen, entwerfe Arbeitsblätter, korrigiere hochgeladene Lösungsblätter und schicke Korrekturen zurück.“
Musikunterricht per Videokonferenz: Wie geht das überhaupt? Kann man wenigstens zusammen singen?
Mechthild Jacobs: „Notenkenntnis, Musikgeschichte, Werkanalyse – all das lässt sich gut digital vermitteln. Das gemeinsame Musizieren ist jedoch kaum möglich, wegen der unterschiedlichen zeitlichen Verzögerungen bei allen Videokonferenzen. Da passt dann kein Ton mehr zum anderen! Alleine singen geht natürlich, das kann auch mal eine Hausaufgabe sein. Und die Proben mit unserer Musical-AG gehen auf freiwilliger Basis digital weiter. Da arbeiten wir viel in Stimmgruppen; wir Leiter singen die einzelne Stimme zum Klavier und die Schülerinnen und Schüler singen zu Hause dazu, haben ihr Mikrofon aber aus. Korrigieren kann ich da natürlich nicht. Aber weil die Jugendlichen schon viel Singerfahrung und eine hohe Selbstdisziplin mitbringen, geben sie mir immer wieder Rückmeldung: Diesen Takt brauche ich nochmal, bei dieser Stelle finde ich meinen Ton nicht und so weiter. Diese Art zu proben fühlt sich sehr seltsam an, aber es funktioniert.“
Haben Sie als Lehrerin durch die Corona-Maßnahmen nun mehr oder weniger Aufwand als im Präsenzunterricht?
Mechthild Jacobs: „Ich habe deutlich mehr Aufwand, denn die Betreuung der einzelnen Schülerinnen und Schüler aus der Ferne ist viel zeitaufwendiger. Ein Lösungsblatt zu korrigieren, bedeutet eine ganze Reihe von digitalen Arbeitsschritten. Und was ich bisher in einem kurzen Gespräch klären konnte, braucht jetzt einen komplexen Schriftwechsel. Auch die rein technische Realisierung des digitalen Lehrens nimmt viel Zeit in Anspruch. Und es sind eine Vielzahl von strukturierenden Aufgaben hinzugekommen. Zudem muss jedes bewährte Arbeitsblatt so umgearbeitet werden, dass es für Schülerinnen und Schüler selbsterklärend ist.“
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Schützlinge die Situation als stressiger empfinden?
Mechthild Jacobs: „Die allermeisten Schülerinnen und Schüler wirken auf mich bewundernswert souverän und gelassen. Sie bemühen sich, das Lernen auf Distanz bestmöglich hinzukriegen und sie helfen sich gegenseitig bei technischen Problemen. Ich habe auch den Eindruck, dass Schülerinnen und Schüler den Unterricht ganz anders wertschätzen als früher. Sie müssen sich das Erleben von Unterricht ja derzeit regelrecht erkämpfen. Dieses Miteinander-an-einem-Strang-Ziehen macht Mut und hält uns alle bei der Sache.“
Wie viel technischer Aufwand ist vonnöten, um aus dem Home-Office unterrichten zu können? Haben Sie häufig mit technischen Problemen zu kämpfen?
Mechthild Jacobs: „Ich nutze einen eigenen Computer für die Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern, und meinen Dienst-iPad verwende ich mit einem digitalen Stift wie eine Tafel, auf der ich im Unterricht schreiben kann und die alle im Video-Chat sehen.
Die datenschutzkonforme Rahmenstruktur gibt unsere Schulleitung vor. Die wurde noch kurz vor dem ersten Lockdown im März 2020 in Gang gesetzt und wird seither immer weiter optimiert. Damit haben wir die Voraussetzungen, um das Beste aus dieser außergewöhnlichen Situation zu machen. Wir Lehrer, Schüler*innen und Eltern haben alle unsere eigenen Accounts auf einer Lernplattform. Dort finden schriftliche Chats statt. Auch für Videokonferenzen nutzen wir ausschließlich sichere Plattformen. Bei Bedarf können Schüler*innen ein Schul-iPad leihweise erhalten. Die Probleme, mit denen wir – so wie derzeit jede Schule – zu kämpfen haben, sind Überlastungsprobleme seitens der nicht-schuleigenen Anbieter unserer Lernplattformen.Da brechen Video-Verbindungen ab, die Cloud lässt sich plötzlich nicht mehr öffnen, eine Nachricht nicht schreiben. Dafür braucht man gute Nerven und viel Geduld; wir alle hoffen auf Verbesserungen."
Fehlt Ihnen der normale Schulalltag?
Mechthild Jacobs: „Ja! Denn die lebendige Begegnung und das lebendige Miteinander-Musizieren lässt sich durch nichts ersetzen!“
Was bedeutet aus Ihrer Sicht die Corona-Krise für die Bildung der Schüler*innen?
Mechthild Jacobs: „In der digitalen Bildung – heute ein Grundbaustein – haben alle einen unglaublichen Sprung nach vorn gemacht. Beim reinen Lernstoff habe ich einen sehr ambivalenten Eindruck. Den lernstarken Selbständigen tut das Fernlernen zum Teil sogar gut. Aber auf die lernschwächeren Schüler*innen müssen wir Lehrende besonders aufpassen. Wenn keine Antworten, keine Lösungsblätter mehr kommen, müssen wir alle schnell reagieren und den direkten Kontakt suchen. Im Rahmen der Notbetreuung können in solchen Fällen Einzelne bei uns unter Aufsicht in der Schule arbeiten. Wir müssen dafür sorgen, dass sich während der Corona-Pandemie die Bildungsschere nicht noch weiter öffnet!“
Vielen Dank für das Gespräch!
Fotos: FBB-Archiv