Abschied vom „hellen Mut“ aus dem „lichten Tal“
12Januar
2021
Er war das älteste Mitglied der FBB: Helmut Schweigert. Zwei Monate vor seine 94. Geburtstag hat er sich von uns verabschiedet, unkonventionell mit einer von ihm selbst vor seinem Tod entworfenen Anzeige, liebevoll in seinem Gedenken an uns, seine Freunde und Nachbarn: „Leb wohl mein geliebtes Baden-Baden, 93 Jahre durfte ich hier leben, dafür bin ich unendlich dankbar.“ Viola Liesen erinnert sich an ihn.
20 Jahre haben wir nebeneinander gewohnt, in Lichtental, im „lichten Tal“. Haus an Haus in der Hauptstraße, Garten an Garten, Brücke an Brücke. Wir waren damals Baden-Baden-Neulinge, er ein waschechter Badener, nah am Alten Dampfbad geboren, im Schatten der Stiftskirche aufgewachsen, fest verwurzelt im katholischen Glauben. Seine Schutzpatronin, eine Statue der Heiligen Teresa, wachte jahrzehntelang im Garten über ihn. Als er zuletzt bettlägerig wurde, hütete sie seinen Schlaf am Ende seines Bettes.
In französischer Kriegsgefangenschaft
Der Glaube und die Liebe zur Musik waren die Leitsterne seines Lebens. Aber auch der Leistungssport halfen dem aktiven und talentierten Läufer über die dunkelsten Stunden seines Lebens hinweg. Als brauner Pimpf noch begeistert Hitler-Lieder singend, erlebte er in französischer Kriegsgefangenschaft, was es heißt, Deutscher zu sein. Erinnerungen, die ihn bis an sein Lebensende quälten. Unsichtbare Hürden für ein wirklich glückliches erfülltes Leben.
Ein Gentleman, der Damen mit Handkuss begrüßte
Aber diese Seite seines Lebens kannten nur wenige. Helmut Schweigert, das war der erfolgreiche Chef eines großen Steuerbüros, der begeisterte Leichtathlet, 1954 deutscher Meister in der 4 mal 100-Meter-Staffel, bis zu seinem Tod Ehrenmitglied des SC Heel Baden-Baden. Und ein unendlich charmanter Gastgeber und Gast. Der Handkuss für anwesende Damen gehörte genauso zu ihm wie sein elegantes Auftreten in Jacket, Weste, Einstecktuch. Klingelten irgendwo auf seiner oder unserer Terrasse die Gläser, wurde gemeinsam gefeiert. Helmut war der Mittelpunkt all unserer Partys, gab sich stets unterhaltsam (er kannte die besten Witze und konnte auch zu ganz später Stunde unendlich Ringelnatz und Morgenstern-Gedichte rezitieren). Und der „Faust“ – für ihn ein Klacks!
Treuer Festspielhaus-Freund
Als das Festspielhaus 1998 eröffnet wurde, begann für den Wagner-Fan und Bayreuth-Dauerbesucher (Stammplatz neben der Begum!) ein neues Kapitel in seinem Baden-Badener Leben. Sofort wurde er Mitglied im exklusiven Club 300, großzügig ausgestattet mit zwei Dauerkarten in der 1. Reihe. Allein zu gehen, wäre ihm denn doch zu langweilig geworden und so konnte er mit all seinen Freunden und Nachbarn (mir im besonderen) unzählige herrliche Abende bei Bach, Wagner & Co. genießen.
Ideenreich und großherzig
Unvergessen als sich im Juni 2000 kurz vor der Premiere von Mozarts „Idomeneo“ im Festspielhaus die Sprinkleranlage öffnete, die ganze Bühne unter Wasser setzte und Tausende von aufgeputzten Operngästen im wahrsten Sinne im Regen stehen liess. Was machte Helmut? Rief seinen Freund Yasushi Ideue, Konzertmeister der Baden-Badener Philharmonie an. Der schnappte sich seine Geige, setzte sich ins Foyer und ließ die Premierengäste mit einem wunderbaren Konzert eine lange Wartezeit vergessen. Ja, so war unser Helmut, ideenreich und so großherzig wie großzügig. Noch heute erinnern sich die netten Damen im Club 300 an ihn, die ihm für die Pause seinen Stammplatz reservierten, ihn mit seinem geliebten Whiskey versorgten. Da hielt er Hof, unvergesslich in seinem weißen Gehrock und silbernem Einstecktuch, ganz Gentleman der alten Schule.
Mach’s gut, Helmut!
Ja, das ist vorbei. Der morgendliche Blick aus unserem Küchenfenster zu ihm rüber, die Frage: Was macht er, wie geht’s ihm heute, was kann ich für ihn tun? Es gibt keine Antwort mehr, die Rollläden vor seinen Fenstern bleiben unten.
Wir alle vermissen dich, mach’s gut,“heller Mut“ aus dem „lichten Tal“!
Foto: FBB-Archiv