Bau-Hick-Hack um den Gemeinderatsbeschluss zur Maria-Viktoria-Straße
30Oktober
2023
Die FBB ging einem Fingerzeig aus der Bevölkerung nach: Einem Bürger fiel auf, dass die Bordsteine gegenüber vom Hotel „Kleiner Prinz“ gesetzt und dann wieder zurückgebaut wurden. Warum doppelte Arbeit? Cornelia Mangelsdorf fragte bei der Pressestelle der Stadt nach. Wolfgang Niedermeyer, Stadtrat der FBB, ging noch weiter.
Die Sanierung der Südlichen Neustadt dauert an – erst Anfang 2023 sollen die Arbeiten in der Maria-Viktoria-Straße abgeschlossen sein, wenn man der ursprünglichen Planung glauben mag. Doch aktuell werden fertiggestellte Baumaßnahmen zum Teil wieder zurückgebaut. Gut möglich also, dass sich das Ende der Baustelle weiter nach hinten verschiebt. Teurer wird es sicher. Proaktiv gab es zu den Rückbauten keine Informationen aus der Stadtverwaltung, obgleich sich so manch aufmerksamer Beobachter über solche Maßnahmen schon wunderte und sie glatt für einen verspäteten Aprilscherz hält. Was hat es also mit dem Rückbau von Bordsteinen auf sich?
Hier spielen zwei Faktoren eine Rolle
Erstens: Die Maria-Viktoria-Straße, so kann man dem Baubeschluss des Gemeinderats von 2022 entnehmen, soll als Fahrradstraße ausgewiesen werden. Als Sonderweg für Radfahrer genießen diese bei dieser Lösung Priorität gegenüber dem Kfz-Verkehr. Tempo 30 wird Pflicht.
Die Sache mit dem Schutzstreifen
Zweitens: Bei bestimmten Straßen, die stark von Radfahrern genutzt werden, wird ein sogenannter Dooring-Schutzstreifen empfohlen. Viele Radfahrer werden gefährdet, wenn parkende Autofahrer plötzlich die Autotür öffnen und so Radfahrer verletzen. Die im Gemeinderat beschlossene Planung entsprach dem Regelwerk „Fahrradstraßen Leitfaden für die Praxis“ von 2021. Dort ist als empfohlene Mindestbreite eine Fahrgasse von 3,5 Meter mit seitlichen Schutzstreifen von 0,5 Meter ausgewiesen. Exakt die Maße der beschlossenen Planung.
Arbeiten wurden doppelt ausgeführt
Im Juli 2023 wurde vom Verkehrsministerium BW ein Erlass herausgegeben, der für die Breite eines Sicherheitsstreifen 0,75 Meter vorgibt, dies mit Hinweis auf den Qualitätsstandard von „Radverkehrsschnellstraßen“. Als solche kann man sich die 260 Meter langen Abschnitt der Maria-Viktoria-Straße aber kaum vorstellen. Mit einer Verbreiterung der Schutzstreifen von 2 x 0,25 Metern wäre der Parkstreifen aber nur noch 1,5 Meter breit geworden, zu schmal. Deshalb soll jetzt durch Streichen des Parkstreifens und damit 22 Parkplätzen weniger, Schutzstreifen und der Bürgersteig verbreitert werden. Damit müssen 140 Meter bereits verlegte Bordsteine und Rinne samt Einläufen abgebrochen und neu ausgeführt werden. Die Stadt bestätigte dies, wenn auch nur vage:
Das Statement aus dem Rathaus
„Grundsätzlich sind Ihre Informationen bezüglich einer eventuellen Änderung der Bordsteine korrekt“, so kam die Antwort von der Pressestelle. „Der Grund für diese ganze Situation ist eine Gesetzesänderung bei der Anlage von Fahrradstraßen. Die neuen Richtlinien erfordern nun einen sogenannten Dooring-Schutzstreifen entlang von Längsparkplätzen in Fahrradstraßen. Dies hat zur Folge, dass in der Maria-Viktoria-Straße die Mindestbreiten der Fahrbahn mit seitlichem Parken für eine Radstraße nicht mehr eingehalten werden können.
Da diese Änderung erst mit dem Erlass vom 31.07.2023 dieses Jahres in Kraft getreten ist, konnten die neuen Vorgaben nicht im Vorfeld in der Planung der Straße berücksichtigt werden. Die hierfür erforderlichen Änderungen wurden fachtechnisch geprüft und werden jetzt umgesetzt. Der Gehweg auf der betroffenen Seite ist noch nicht fertiggestellt. Es wurden lediglich die Bordsteine gesetzt, der Vollausbau des Gehwegs in diesem Bereich einschließlich umfangreicher Kabelverlegearbeiten folgt im letzten Bauabschnitt der Gesamtmaßnahme.“
Die Einwände der FBB
So viel zur Auskunft der Stadt. Die sich so liest, als sei der neue Sicherheitsstreifen Pflicht. Ist das so? Cornelia Mangelsdorf fragte Wolfgang Niedermeyer, Stadtrat der FBB, der sich tiefer mit dieser Causa beschäftigt hat – und Einwände formulierte, die er dem Baubürgermeister Alexander Uhlig sowie Alexander Wieland, Chef der GSE, mitteilte.
„Erstens: Der Erlass des Verkehrsministeriums vom 27.06.2023 bezeichnet Markierung und Breite des Sicherheitstrennstreifens als Soll-Vorschrift. Mit Soll-Vorschrift wird meines Wissens im Verwaltungsrecht eine Rechtsnorm bezeichnet, die einer Behörde bei der Vornahme oder dem Unterlassen einer Handlung einen (eingeschränkten) Ermessensspielraum einräumt. Ihre Feststellung: ,Leider besagt der Erlass vom Sommer diesen Jahres, dass die Mindestbreite des Sicherheitsstreifens nunmehr mindestens 0,75 Meter (einschließlich Markierung) sein muss‘, ist deshalb nicht nachvollziehbar.
Zweitens: Der Erlass bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Qualitätsstandards RSV (Radverkehrsschnellstraßen) von 2022.
Dritttens: Die Maria-Victoria-Straße ist im gültigen Radverkehrskonzept Baden-Baden als Nebenroute ohne Priorität im Handlungsbedarf ausgewiesen. Eine Zuweisung zu einem bisher nicht vorhandenen Radverkehrsschnellstraßennetz ist überhaupt nicht absehbar.
Viertens: Damit ist auch die Umwidmung als Fahrradstraße aus dem Planungswerk Radwegenetz nicht zwingend vorgegeben, sondern bestenfalls ,nice to have‘.
Wir sind sehr wohl der Meinung, dass hier das Ermessen noch einmal vorgenommen werden muss und wirklich alle Umstände abgewogen werden müssen. Da hier eine Änderung des Gemeinderatsbeschlusses vom 25.07.2022 vorliegt, kann das nicht einfach mit einem Federstrich amtsintern behandelt und entschieden werden.“
Postwendend kam die Antwort der Stadtverwaltung
Sie besagt, dass der breitere Dooring-Streifen sehr wohl verpflichtend sei und deshalb der Rückbau vonnöten sei. „Durch eine Soll-Vorschrift ist die Verwaltung grundsätzlich genauso gebunden wie durch eine Muss-Vorschrift und hat die Vorgabe entsprechend umzusetzen. Im Gegensatz zu einer Kann-Vorschrift besteht für die Verwaltung eben gerade kein Ermessen. Der Erlass schließt nach rechtlicher Beurteilung alle Radverkehrsstraßen ein. Die Maria-Viktoria-Straße ist Teil des Radverkehrskonzept und Zubringer von der Stadtmitte auf den bestehenden Radweg in der Lichtentaler Allee. Damit sind die entsprechenden Maßnahmen umzusetzen.“
Weiterhin heißt es in dem Schreiben der Stadt: „Da die Stärkung des Radverkehrs politisches Ziel ist, von Anwohnern ohnehin der Einwand hinsichtlich der hohen Anzahl an geplanten Stellplätzen eingegangen ist und in unmittelbarer Nähe mit den Parkhäusern Augusta und Fina entsprechende Parkplatzkapazitäten vorhanden sind, ist die Abwägung zugunsten einer entsprechenden Anpassung des Straßenraums unsere Meinung nach folgerichtig; der Bordstein auf einer Länge von rund 130 Meter soll daher versetzt werden. Eine Information der Gremien hat bereits letzte Woche mit dem Aufsichtsrat der GSE begonnen und sollte im Bau- und Umlegungsausschuss weiter folgen. Die Information der Mitglieder des Bau- und Umlegungsausschusses haben Sie mit Ihrer Mail und deren Verteilung schon vorweggenommen.“
Der Umbau der Straße war anders beschlossen worden
Wolfgang Niedermeyer bemängelt nachdrücklich, dass die Stadtverwaltung die Umgestaltung der Maria-Victoria-Straße in wichtigen Punkten abändert, entgegen dem Gemeinderatsbeschluss vom Sommer 2022. Er schrieb an die Verantwortlichen: „Da das offensichtlich verwaltungsintern durchgeführt werden soll, müssen wir auf Vorlage und Beratung der Abwägungsgründe im Bauausschuss und (eventuell neuer) Beschlussfassung im Gemeinderat bestehen.“
Der FBB-Stadtrat bleibt hartnäckig
Der fleißige Faktenforscher ging noch weiter und adressierte sich bei der Gemeinderatssitzung am 23. Oktober mit einer Anfrage an OB Dietmar Späth.
„Wir möchten nun wissen:
1. Seit wann entspricht es Hauptsatzung und Geschäftsordnung, dass städtische Gesellschaften abweichend von den Beschlüssen des Gemeinderats agieren und im Namen der Verwaltung Erklärungen abgeben können?
2. Werden Sie den Fragestellungen unseres Anschreibens noch nachkommen?
3. Wird der Gemeinderat mit der geplanten abweichenden Ausführung und den materiellen Nachteilen, die zu erwarten sind, noch befasst? Der Abbruch der fertiggestellten Leistungen läuft seit heute. Dies ist sicherlich nicht nur für unsere Fraktion von Interesse.“
Im Zusammenhang mit dem Augustaplatz wurde im Gemeinderat unwidersprochen geäußert: „Dass der Baubürgermeister Anweisungen par ordre du mufti gibt, kennt man schon“, sagte René Lohs (FDP). Das beantwortet allerdings noch nicht die Fragestellung.
Foto: Tommy Schindler / FBB Archiv