Baden-Baden und der Weststadtblues

13November
2017

Manchmal überkommt die Bewohner der Weststadt der „Blues“, eine Art von Melancholie über ihr Vorstadtdasein in Baden-Baden, gelegentlich auch Frust.

Sie finden, dass ihre Weststadt doch (eigentlich!!) ganz hübsche Häuser hat, Jugendstilhäuser, nicht wahr? Und dass in der langen Straße durch die Weststadt, der Rheinstraße, sehr ansehnliche alte Gebäude und Geschäftshäuser stehen. Aber kaum eines unter Denkmalschutz: nicht schutzwürdig wie die ganze übrige Weststadt? Ist denn nur das „Centrum“ (wie sich das Stadtzentrum etwas zickig nennen lässt) … ist denn nur diese Innenstadt Baden-Badens schützenswert als Weltkulturerbe? Und wenn die Stadt ihre westliche Vorstadt umbauen lässt, dann erfahren es die Menschen in der Weststadt erst recht spät und wenn sie es erfahren, sind die wesentlichen Entscheidungen längst gefallen, zu spät. Ohne sie, die Bewohner der Weststadt, versteht sich. Sie fühlen sich oft mißachtet.

Nun baut Avarto-Bertelsmann wieder einmal mitten in der Weststadt. Riesig und himmelhoch, ein Hochhaus. Es gibt da einen Gestaltungsbeirat in Baden-Baden. Der hat das Monstrum geprüft, wir wollen mal sagen: wohlwollend geprüft. Und dazu gemeint, man müsste eigentlich mehr tun, ein bisschen die ganze Weststadt prüfen und überplanen: was hat man hier prinzipiell vor, langfristig. Es sitzen kluge Architekten im Gestaltungsbeirat. Sie haben ein bisschen an dem Avartoentwurf herum gemeckert. Irgendwie ist er schon ein wenig groß geraten, zu hoch, aber sei’s drum. Eigentlich müsste die Grundsatzfrage lauten, ob ein Unternehmen, das wächst und wächst und wächst und deshalb aus allen Fugen platzt, überhaupt in der Weststadt richtig untergebracht ist und nicht eher im Industriegebiet jenseits der Bahn in Oos. Aber dafür scheint es zu spät zu sein. Und Avarto-Bertelsmann ist der größte Arbeitgeber Baden-Badens, kein Kleinbürger der Weststadt.

Der geplante Neubau? Alles zu groß und zu hoch und zu unpassend für die Weststadt befand neulich Martin Ernst von den Freien Bürgern für Baden-Baden (FBB), „das ist Großstadtarchitektur á la Frankfurt, das trifft unsere Seele nicht“. Nun, der Gestaltungsbeirat schlägt vor, die ganze Weststadt komplett zu überplanen, damit man dann weiß, wohin die Reise geht. Noch mehr Hochhäuser? Hoch höhere Büros mit noch mehr Arbeitsplätzen? Und wo parken dann die Bewohner der Weststadt? Sie hat niemand angehört, und sie leiden, sagen sie, bereits jetzt unter der anschwellenden Blechlawine, die sie regelmäßig zuparkt.

„Uns fragt niemand. Die Dinge kommen einfach über uns“, klagen einige Bewohner der Weststadt. „Wir werden verplant“. Beispiele gewünscht? Offensichtlich unerschöpflich viele. Es sei schön und vertraut, dieser Name „Drei-Eichen-Kapelle“. Aber die namensgebenden drei Eichen hat man umgesägt, es gab die Zusage, dass drei Jung-Eichen neu gepflanzt werden sollten, aber das ist lange her und natürlich nie geschehen. Der Verkehr (auch Lastwagen, die die Maut auf dem Zubringer umgehen wollen) wälzt sich tagtäglich durch die Weststadt. Teilweise gibt es ein Geschäftesterben in der Weststadt und nichts geschieht. Das Parken für die Anwohner in der Franken-, Alemannen- und Rheinstraße ist fast unmöglich, überall die Avarto-Mitarbeiter, die wie Ameisen über die Weststadt herfallen. Sie fluten jeden freien Parkplatz.

Wohin driftet die Weststadt? Das interessiert natürlich die Bewohner der Weststadt am meisten, aber genau das erzählt ihnen niemand direkt oder jedenfalls nicht so, dass sie es auch verstehen. Die alten Einwohner der Weststadt fühlen sich übergangen. Sie haben Angst vor dem, was die Verwaltung in ihren fernen Amtszimmerchen für sie ausheckt. Nichts Gutes jedenfalls, vermuten sie.

Foto: Ben Becher