„Die Trägerschaft gehört auf den Prüfstand“
02März
2021
Das Zentralklinikum Mittelbaden ist beschlossene Sache. Was bedeutet das für die Bürgerinnen und Bürger? Und was sind die nächsten Schritte? Interview mit Wolfgang Niedermeyer, Stadtrat der FBB. Er hat in seinem Berufsleben als Architekt und spezialisierter Krankenhausplaner gewirkt. Ein Interview.
Herr Niedermeyer, das Zentralklinikum für Mittelbaden kommt. Warum war die FBB dafür?
Wolfgang Niedermeyer: „Ganz einfach, wir haben uns mit den vorgelegten Gutachten ohne Scheuklappen befasst, die letzten Jahresabschlüsse und vorgelegten Prognosen des Klinikums studiert, recherchiert, was in der Republik an anderen Orten geschieht und unsere eigene Lebenserfahrung und eigenen Behandlungsaufenthalte im Klinikum mit eingebracht. Dann haben wir die Argumente abgewogen und eine Entscheidung getroffen. Die Entscheidung für einen Standort ist sinnvoll und zukunftsfest.“
Und was kann man verängstigten Bürger*innen sagen, die nun Sorge haben, nicht schnell genug ins Krankenhaus zu kommen?
Wolfgang Niedermeyer: „Die allermeisten Mitbürger gehen sehr bewusst mit der Notwendigkeit um, sich im Krankenhaus behandeln zu lassen. Je nach Diagnose werden Kliniken von Freiburg über Karlsruhe bis Heidelberg gezielt ausgewählt. Ein Großteil der Behandlungen ist geplant und zum Teil durch gute Facharztdiagnostik vorgeklärt. In all diesen Fällen steht die Sorge um „Schnelligkeit“ wohl nicht an erster Stelle, sondern die um Qualität. Im Akut- und Notfall werden die Patienten den Kliniken ja schon seit langer Zeit von zentralen Leitstellen zugeteilt. Da lande ich als Baden-Badener oder Bühler Patient mit Infarkt- oder Schlaganfallverdacht sowieso zurzeit in Rastatt. Also mich beruhigt das eher, als dass es mich besorgt oder gar verängstigt – und das sage ich auch jedem. Das Gleiche gilt für den Schreiner, der sich drei Finger an der Kreissäge abschneidet. Der freut sich auch mehr über einen Spezialisten im 30-Minuten Radius, als über erste Hilfe in 15 Minuten.“
Wie geht es nun weiter in dieser Sache? Was sind die nächsten Schritte?
Wolfgang Niedermeyer: „Entscheidend ist ein geeignetes Grundstück. Kriterien hierfür wurden aufgestellt, die für ein systematisches, geordnetes und zielbezogenes Verfahren, mit möglichst wenig Platz für ,Kirchturmpolitik’sorgen sollen. Wichtig ist, dass in den Gremien für die Einhaltung der Auswahlverfahren gesorgt wird.
Parallel dazu muss natürlich für die zukunftsfeste medizinische Zielsetzung der Akutklinik ein intensiver Austausch mit den dafür vorgesehen Beteiligten stattfinden. Daraus entwickelt sich ein Funktions- und Raumprogramm, ein ganz wichtiger Baustein für die Planungsumsetzung. Dafür muss ein exzellenter Berater gesucht und beauftragt werden. Dann gibt es üblicherweise einen Planungswettbewerb mit spezialisierten Krankenhausplanern. Die FBB-Fraktion verweist mit Nachdruck darauf, dass zur systematischen Untersuchung und Begutachtung der künftigen Struktur auch die Frage nach einer zukunftsfähigen Trägerschaft auf den Prüfstand gehört. Als bisherige Träger in der Akutversorgung sind Stadt und Landkreis gut beraten, auch hier über alternative Szenarien ergebnisoffen nachzudenken, zu diskutieren und zu entscheiden.“
Wo sehen Sie Hürden und Gefahren für das anstehende Großprojekt?
Wolfgang Niedermeyer: „Wohin die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten führen kann, haben wir alle jahrelang beim Berliner Großflughafen vorgeführt bekommen. Es gilt also, eine Lenkungs-/Leitungsgruppe unter maßgeblicher Beteiligung von erfahrenen Fachleuten zu finden. Dazu ein kompetentes Kontroll- und Aufsichtsgremium. Jeder Meilenstein im Verfahren muss mit der vorgegebenen Zielsetzung abgeglichen, funktionell und finanziell abgesichert und genehmigt sein, bevor es weitergeht. Das schlimmste sind offene Planungen, möglichst noch bei breit gestreuten Verantwortlichkeiten, damit am Ende niemand mehr Verantwortung hat. Auch hier können Träger mit überregionaler Erfahrung besser abschneiden als Träger, die das nur einmal alle zwei bis drei Generationen machen.“
Was steht jetzt im Vordergrund?
Wolfgang Niedermeyer: „Zunächst stehen Verhandlungen mit dem Land im Vordergrund, denn bisher wird von einer 50-prozentigen Landesbeteiligung ausgegangen. Auch muss die Vorfinanzierung für die Planung, die um die zehn Millionen Euro liegen dürfte, gesichert werden. Aus eigener Kraft kann das Klinikum das sicherlich nicht stemmen. Auch müssen für die restlichen 50 Prozent Bürgschaften von den Trägern bereitstehen. Das Klinikum ist allein wohl kaum kreditfähig.“
Design und Architektur können die Gesundheit von Menschen beeinflussen. Deshalb entstehen heute im Healthcare-Bereich auch Bauten, die Ruheoasen, Rückzugsorte, kurz: eine ansprechende Umgebung bieten. Wird der Gemeinderat Einfluss nehmen können, dass moderne Krankenhaus-Architektur-Konzepte ihren Weg nach Mittelbaden finden?
Wolfgang Niedermeyer: „Das berührt eine Grundsatzfrage, die mich mein Berufsleben als Krankenhausplaner begleitet hat. Bauen und gestalten wir Krankenhäuser für den Patienten? Es gibt aber ganz unterschiedliche Patienten. Da ist der Akutpatient, der als Notfall einen Diagnose- und Therapieprozess durchläuft, über eine Intensiv-, Wach- Normalstation meist im Liegen das Krankenhaus-Ambiente zu Gesicht bekommt und in der Regel nach kurzer Zeit wieder entlassen wird. Da ist aber auch der – immer häufiger anzutreffende – ambulante Patient, der über eine Aufnahmeabteilung, über öffentliche Wartezonen seinen Diagnostik- oder Therapiebereich in der Regel selbstständig erreicht und eine einfach angelegte Grundstruktur angeboten bekommen sollte. Eine Kurzzeitpflege oder Überwachung könnte sich noch anschließen. Dann ist da noch der eingeplante Patient, der entweder noch selbständig seine präoperative Diagnostikrunde machen kann und dann in die Obhut einer Pflegestation kommt. Sie alle erleben das Krankenhaus mit unterschiedlicher Erwartungshaltung und werden von dem Ambiente beeinflusst. Die Frage ist: Muss ich meine Gebrechlichkeit, Behinderung, Schwäche überall präsentieren, oder gibt es Rückzugsorte im gnadenlos transparent orientierten Verkehrssystem einer Klinik? Bei allem gilt es aber zu bedenken, dass die Verweildauer immer kürzer geworden ist und der Patient in der Regel gar nicht Zeit und Muße hat, über ein gelungenes oder wenig gelungenes Ambiente zu grübeln. Nicht übersehen dürfen wir, dass ein Krankenhaus Arbeitsplatz für vielfältige Berufsgruppen ist, die häufiger als andere täglichen Stresssituationen ausgesetzt sind. Für sie gilt es, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen zu schaffen, die der starken Kommunikation und dem interdisziplinärem Austausch gerecht werden. Je komplizierter die Strukturen, je schwieriger wird dies in der Regel. Außerdem muss ein bauliches Konzept zur Unterstützung von Hygiene und Sicherheit gefunden werden. Auch hier hat das Einfache Erfolg. Entscheidend wichtig ist aber die Zukunftsfähigkeit der Grundstruktur, die den Austausch und die Ergänzung von Funktionen, auch im laufenden Betrieb, sicherstellen muss. Das eben Beschriebene ist die Kunst des Krankenhausbaus. Sogenannte moderne Krankenhaus-Architektur-Konzepte halte ich, bei einer geplanten Lebensdauer von zwei Generationen, für eine fragwürdige Zuschreibung.“
Foto: FBB-Archiv