Die Chance des Welterbes wird nur verwaltet
10August
2023
Professor Dr. Heinrich Liesen, Stadtrat der FBB, stimmt im Sommer-Interview kritische Töne an. Als Macher und Initiator vieler bürgernaher Aktionen bekannt, kritisiert er den bürokratischen Apparat der Verwaltung. Zu viele Chancen werden vertan!
Herr Liesen, der Gemeinderat macht nun Sommerpause. Fühlt sich das für Sie ein bisschen an wie große Ferien?
Heinrich Liesen: „Nein, eigentlich nicht. Aber ich gönne mir gerade einen kurzen Besuch bei meinem Enkel in Köln. Ansonsten genieße ich schon etwas den Abstand zu den zahlreichen Verwaltungsvorschriften, die häufig unsinnig sind und nicht den Bürgern und der Stadt dienen; die aber stringent von der Rathausspitze umgesetzt werden. Manchmal kommt es mir vor, als würde die Verwaltung diese als Machtmittel einsetzen und eben nicht zum Wohl der Bürger und unserer herrlichen Stadt. Doch die Mehrheit im Gemeinderat ist nicht bereit, sich dagegen aufzulehnen.
Und so bleibt alles beim Alten. Das ist für mich mitunter unerträglich. Unsere wunderbare Stadt rutscht sehenden Auges in eine bankrotte Kleinstadt ab – und das, obwohl sie mit dem Welterbe-Status eine einmalige Chance hat, als Weltkulturstadt ihren Ruhm weiterzuentwickeln und den Menschen hier ein erfülltes Leben zu ermöglichen. Die Chance des Welterbes wird jedoch nur verwaltet.“
Welches politische Thema hat Sie bis zuletzt beschäftigt?
Heinrich Liesen: „Aktuell beschäftigt mich das Thema neues Klinikum. Fest steht: Wir brauchen das neue Klinikum, für unsere Kinder und Kindeskinder. Balg ist nicht mehr zu retten: Der Brandschutz ist nicht auf dem neuesten Stand, Asbest überall, es gibt desolate Rohrleitungssysteme und so weiter. Man fühlt sich dort oben auch nicht gut aufgehoben, wenn man als Notfall eingeliefert wird, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Auch einige Hausärzte sind mit den Leistungen der Balger Klinik nicht zufrieden. Um es auf den Punkt zu bringen: In Balg stimmt das betriebliche und medizinische Management nicht mehr. Auf dieser Basis ist meines Erachtens aber kein neues Klinikum zu bauen, denn die Verantwortlichen für dieses wären ja dieselben Akteure. Wenn die Mitglieder im Aufsichtsrat sich mit einem neuen Klinikum nur ein Denkmal setzen wollen, verfehlen sie das Ziel. Sie sollten einzig und allein die beste Gesundheitsversorgung der Bürger im Sinne haben.“
Gibt es ein Thema, das Sie jetzt, wo Pause ist, tiefer ausarbeiten möchten?
Heinrich Liesen: „Das verschlafene Welterbe zum Leben und Genießen für alle zu erwecken. Durch Aktionen aus der Bürgerschaft, die hoffentlich nicht dem Bürokratismus der Welterbe-Verwaltung zum Opfer fallen.“
Welches Thema hat Sie zuletzt geärgert in der Stadtpolitik?
Heinrich Liesen: „Die Neidgesellschaft macht auch bei Mitgliedern des Gemeinderats und bei Führungskräften der Stadt nicht halt. Nur so ist zu verstehen, dass das Millionen-Angebot der Grenke-Stiftung für das Besucherzentrum Welterbe erst durch Druck aus der Bevölkerung angenommen wurde. Das finde ich sehr schade. Hier werden wertvolle Chancen vertan.“
Und was hat Sie gefreut?
Heinrich Liesen: „Die Mitteilung, dass die Mieter des Hirtenhäuschens an der Klosterwiese gekündigt haben und jetzt eine Chance besteht, das vergessene, verschlafene Kleinod im Sinne des gelebten Welterbes den Bürgern und Gästen zur Verfügung zu stellen.“
Wie sehen Sie die Entwicklung unserer Stadt?
Heinrich Liesen: „Fast das ganze Tafelsilber Baden-Badens – Casino, Kurhaus mit den Kolonnaden, Trinkhalle, Friedrichsbad, Caracalla-Therme, Thermalwasser – gehört nicht mehr der Stadt. Die Bäder- und Kurverwaltung (BKV) Baden-Württemberg verwaltet diese Immobilien. Steffen Ratzel, der lokale Chef des BKV, kämpft unermüdlich darum, dieses Erbe zu erhalten und weiterzuentwickeln – in den letzten Jahren allerdings ohne Unterstützung des Rathauses. Ich hoffe, das ändert sich bald.
Baden-Baden hat heute noch einen Weltruf durch seine Vergangenheit als Capitale d‘Eté und durch das einzigartige Engagement vieler Mäzene und Bürger, die für das Festspielhaus, das Burda-Museum, das LA 8, das Toccarion und vieles mehr stehen und auch für das Engagement der BKV. Das Rathaus mit seinem Gemeinderat verwaltet diese wunderbare Stadt – wenn es so weiter geht – zu Tode, wenn nicht aktuelle Chancen erkannt und genutzt werden, wie etwa der Welterbe-Status oder der Bau und die Leitung des dringend erforderlichen neuen Klinikums durch einen möglichst privaten Investor.“
2024 stehen Kommunalwahlen an in Baden-Baden. Werden Sie sich zu Verfügung stellen?
Heinrich Liesen: „Wenn meine Fitness und Gesundheit es erlauben, werde ich mich wieder zur Wahl stellen. Ich hoffe, dass die Wähler es honorieren, dass wir FBB-ler kein Eigeninteresse haben, sondern die Bürger vertreten.“
Viele Mitglieder überlegen aktuell, ob sie sich aufstellen lassen für die Gemeinderatswahl. Welche Art von Stadträten wünschen Sie sich?
Heinrich Liesen: „Jüngere mit Familie, die die Probleme der Stadt am eigenen Leibe spüren. Die aber die Einzigartigkeit unserer Kulturstadt erkennen und sie mit neuen Ideen weiterentwickeln wollen. Aber wer hat schon die Zeit, die langen und zum Teil komplizierten Vorlagen der Verwaltung zu lesen? Manchmal kommt es mir so vor, als wolle man uns damit die Lust am Entscheiden und Gestalten nehmen. Es lohnt sich, dagegen zu kämpfen! Unsere jüngeren FBB-Frauen und -Männer können das schaffen! Wir haben hoffnungsvollen Nachwuchs in unseren Reihen.“
Last but not least: Wie verbringen Sie den Sommer?
Heinrich Liesen: „Wir werden unser herrliches, allerdings arbeitsintensive Zuhause genießen.“ (Anmerkung der Redaktion: Er muss sich um die Rosen kümmern).
Foto: FBB Archiv