Energie aus der Nordsee statt aus Russland?
05Juli
2022
Unabhängiger von russischem Gas zu werden: Das ist das Gebot der Stunde. Wasserkraft aus dem Meer könnte nicht nur ein weiterer Schritt in Richtung erneuerbare Energien sein, sondern langfristig auch Lieferlücken füllen.
Deutschland war bislang stark auf russisches Gas und Öl angewiesen: Die mit dem Überfall auf die Ukraine verbundenen Spannungen mit Russland müssen zu neuen innovativen Plänen führen, wie wir in Deutschland auch im kommenden Winter unsere Wohnungen heizen und unseren Strom bezahlen können. Erneuerbare Energien wie Wind und Wasser kommen da allein noch nicht hinterher. Ein weiterer natürlicher Energielieferant allerdings ist noch alles andere als ausgeschöpft: das Meer.
Die Kraft der Gezeiten nutzen
Vor rund 100 Jahren entstanden die ersten Pläne für ein Gezeitenkraftwerk in der Normandie. Heute gibt es zahlreiche Projekte auf der ganzen Welt. Allerdings: Noch sind es lange nicht genug. Der Bau einer solche Anlage verschlingt noch sehr viel Geld. Wenn die Kosten niedrig genug werden, was laut Experten in weniger als zehn Jahren der Fall sein könnte, kann es die Kraft aus dem Meer durchaus mit anderen erneuerbaren Energien aufnehmen. Bis zum Jahr 2050 könnten dann bis zu zehn Prozent des in Europa benötigten Stromes aus dem Meer kommen.
Förderung von allen Seiten
Nicht nur der Aspekt der Erneuerbarkeit und Klimafreundlichkeit motiviert, die zahlreichen Projekte anzutreiben. Viele sehen in der Energie aus dem Meer eine rentable Zukunft. EON, Scottish Power Renewables, Vattenfall, ABB, Kawasaki: Viele große Namen aus der Branche investieren in den vielversprechenden Strom aus dem Ozean, vermuten darin kommerzielle Erfolge. Denn diese Anlagen haben viele Vorteile: Sie sind – anders als Windräder – nicht zu sehen und sie sind von schwankenden Faktoren wie Wetter, Wind, Sonnenverhältnissen weitgehend unabhängig. Beim Baden stören sie auch nicht – viele dieser Anlagen werden in der offenen See vor der Küste errichtet. Denn einen Kilometer vor der Küste verfügen Wellen über die doppelte Energie als in Küstennähe.
Rauer britischer Seegang als Energielieferant
Vor den Küsten Großbritanniens finden sich bereits einige Pilotprojekte, die in der Lage sind, aus Strömungsenergie oder dem Tidenhub Elektrizität zu gewinnen: Da wäre zum einen „Oyster“ („Auster“), eine 10 mal 18 Meter große Plattform in 15 Metern Tiefe vor der Küste der schottischen Insel Orkney, die sich mit den Wellen auf und ab bewegt und so eine Turbine antreibt. „Pelamis“ ist ein wie eine vier Meter lange, rote Seeschlange anmutendes Minikraftwerk, das auf dem Wasser schwimmt; „MeyGen", noch in Konstruktion vor der Nordspitze Schottlands, soll das größte Wellenenergiekraftwerk der Welt werden, mit fast 400 Megawatt Leistung.
Energie aus deutschen Gewässern?
Südlich von Großbritannien sucht man derlei Anlagen bisher vergeblich. In der Nordsee wurde bis ins Jahr 2019 das Projekt NEMOS getestet. Die Anlage habe zwar Potenzial, allerdings sei die Nordsee als Standort nicht unbedingt geeignet. Inwieweit Ozeanstrom Made in Germany zukünftig realisierbar sein wird, ist also noch nicht klar. Fest steht aber, dass in der Stromgewinnung aus dem Meer einiges zu holen ist – fürs Klima, für die Wirtschaft und für die Unabhängigkeit.
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