Die Raunächte brechen an
25Dezember
2023
Die Zeit zwischen Weihnachten und dem 6. Januar ist die Zeit „zwischen den Jahren“. Es ist eine besondere Zeit, die vielen von uns Ruhe und Beschaulichkeit schenkt. Doch sie ist auch mit Mythen belegt. Cornelia Mangelsdorf erinnert sich an Wäsche, die zwischen den Jahren nicht gewaschen werden durfte.
Ich hatte das Glück, meine Urgroßeltern noch zu kennen. Sie müssen etwa um 1860 geboren sein. Mein Vater wuchs bei ihnen auf und wir wohnten als Familie dann bei ihnen. Meine Uroma trug lange schwarze Kleider und eine schwarze Schürze darüber – sie machte wunderbare Dampfnudeln in einem riesigen Gusseisentopf – und mein Uropa hatte meist eine Schiebermütze auf dem Kopf. Ihre Zeit war gänzlich anders als unsere: Einen Fernseher besaßen sie nicht. Abends gingen sie ins Bett, sobald es dunkel wurde. Denn verschwenderisch ein Licht entzünden am Abend, das machte man nur an Feiertagen. Als meine Mutter, damals jung verheiratet, einmal zwischen den Jahren Wäsche wusch, war meine Urgroßmutter schockiert. Das bringe Unglück, mahnte sie. Meine Mutter ließ es dann auch bleiben.
Die Zeit zwischen den Jahren – sie hat etwas Geheimnisvolles
Es ist eine geheimnisvolle Zeit, diese zwölf Tage zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag. Historiker erklären, dass diese Zeit früher für viele Menschen eine Art „Nahtstelle“ war. Sie glaubten, dass die jenseitige Welt dann Zugang hätte in unsere Welt und Dämonen versuchten, Menschen in der diesseitigen Welt zu fangen. Deshalb mussten Frauen und Kinder nach Einbruch der Dunkelheit in diesen Tagen auch zu Hause bleiben. Wohnungen und Werkstätten mussten aufgeräumt sein – und es durfte eben keine Wäsche auf der Leine hängen, weil dies Unglück bringen und Dämonen anziehen könnte. So viel zum Aberglauben.
Und es geht noch weiter
In Bayern und Österreich gibt es mancherorts noch den Brauch, dass nach Weihnachten die Häuser mit Weihwasser gesegnet und eingeräuchert werden – um böse Geister fernzuhalten. So entstand vermutlich auch der Name: Aus „Rauchnächten“ wurden „Raunächte“.
Die Uhr scheint langsamer zu ticken
Für mich hat diese Zeit allerdings einen anderen Zauber, da ich für Aberglauben gänzlich unempfänglich bin (und selbstverständlich wasche ich Wäsche zwischen den Jahren): Ich habe das Gefühl, dass die Uhr dann viel langsamer tickt. Vielleicht mag es daran liegen, dass ich zwischen den Jahren nicht oder nur wenig arbeite. Ich genieße die Stille dieser Tage. Lebe in den Tag hinein. Blicke friedlich zurück auf das scheidende Jahr und schmiede Pläne für das kommende. Zwischen den Jahren ist ein guter Moment für eine kleine persönliche Zwischenbilanz: Was waren die Höhepunkte im alten Jahr? Und wo zieht es mich im neuen Jahr hin?
Freunde sehen und durch die Natur streifen
Oft melden sich zwischen den Jahren liebe Freunde, die ich lange nicht gesprochen habe. Und der Wald ist dann auch besonders bezaubernd. Wild und Raubvögel sehe ich in dieser Zeit meist sehr häufig im Unterholz und auf den stillen Wegen der Natur. Alles kommt zur Ruhe. Wie schön!
Gute Vorsätze fassen – oder eben nicht
Viele Menschen machen in dieser Zeit Pläne, wie sie im kommenden Jahr sich, ihre Figur oder ihr Aussehen optimieren können. Seitdem es Uhren gibt, die Schritte, Herzfrequenz und verbrauchte Kalorien anzeigen, ist der Trend zur Selbstvermessung ja ungebrochen. Ich betrachte diese Mode mit einer Mischung aus Bewunderung und Amüsiertheit. Toll, wer sich etwas vornimmt!
Es lebe der Moment
Doch, andererseits: Wird das neue Jahr automatisch mehr Selbstdisziplin mit sich bringen? Wird der innere Schweinehund mit dem Wechsel der Jahreszahl automatisch kleiner? Ich bin da skeptisch, zumindest, was mich selbst betrifft. Und so nehme ich die Freuden zwischen den Jahren – Plätzchenteller, Reste vom Weihnachtsmahl, Perlweinpräsente – doch gerne an. Zwischen den Jahren schmeckt mir das Leben außerordentlich gut. Das nächste Jahr, ich begrüße es mit Genuss!
Fotos: von Radarsky 1984: https://www.pexels.com/de-de/foto/kalt-schnee-holz-dammerung-15374369/