„Toleranz und Rechtstaatlichkeit müssen geschützt werden“
02Oktober
2020
Seit 21 Jahren arbeitet Dagmar Rumpf im Stadtarchiv. Bei Recherchen stieß die Archivarin auf ein dunkles Kapitel der Stadt: Hexenverfolgung. In ihrem Roman „Nichts von dir soll übrig bleiben“ beschreibt sie eine wahre Geschichte. Es geht um das Schicksal der Anna Weinhag. Die Protestantin überlebte zweimal die Folter. Cornelia Mangelsdorf hat die Autorin getroffen.
Sie kommt mit dem Fahrrad: Dagmar Rumpf radelt jeden Tag zur Arbeit. Sie ist groß und schlank, in der Freizeit klettert sie gern. Ihre Augen funkeln – man sieht ihnen an, dass sie schon viel gelesen haben. Vier Bücher hat die passionierte Archivarin bereits geschrieben. „Nichts von dir soll übrig bleiben“ ist ihr erster Roman. Die Lektüre ist eine fesselnde und bewegende Zeitreise. Und ganz nebenbei erfährt man, dass Baden-Baden vier Stadttore hatte und eine Stadtmauer. Das Buch (Verlag Regionalkultur) fesselt von der ersten bis zur letzten Seite.
Frau Rumpf, wo wurden in Baden-Baden Hexen und Ketzer verbrannt?
Dagmar Rumpf: „Das war dort, wo die heutige Bernharduskirche steht. Man fand das wohl doch zu unappetitlich, die Menschen innerhalb der Stadtmauern zu verbrennen. Doch man wollte die Scheiterhaufen durchaus dort aufbauen, wo viel Publikum war. Die Richtstätte sollte ja für Abschreckung sorgen.“
Sie haben sich ein wahrhaft düsteres Thema ausgesucht. Wie kamen Sie darauf?
Dagmar Rumpf: „Im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Recherchen. Ich habe 2008 die kleine Geschichte der Stadt Baden-Baden publiziert, damals unter meinem Mädchennamen Kicherer. Dafür konnte ich auf viel Sekundärliteratur zurückgreifen, aber nicht für die Zeit der Reformation. Deshalb fuhr ich ins Generallandesarchiv nach Karlsruhe. Dort habe ich Originaldokumente entdeckt. Und so stieß ich auch auf Anna Weinhag, die Hauptfigur in meinem Buch. Man muss wissen, dass die religiösen Verhältnisse damals nicht festgelegt waren. Es gab eine starke evangelische Gemeinde sowie eine katholische. Das hat lange funktioniert. Anna Weinhag war evangelisch, sie stammte aus einer angesehenen Familie, sie konnte mit dem Katholizismus nichts anfangen. 1622 kommt Markgraf Wilhelm, streng katholisch, an die Macht. Das allererste, was er macht, sind Maßnahmen zur Rekatholisierung. Die Protestanten sollten ausgerottet werden. Das war seine oberste Priorität. Zu diesem Zweck holte er Jesuiten in die Stadt und Kapuziner. Vor allem die Jesuiten haben die Rekatholisierung sehr vorangetrieben.“
Was ist das Besondere an Ihrer Hauptfigur?
Dagmar Rumpf: „Anna hat als Frau und Protestantin den Mut, einen Brief an den Markgraf zu schreiben, dass sie nicht zum katholischen Glauben übertreten will. Das wurde als frech angesehen. Glaubensfreiheit war damals kein Recht. Doch Anna war eine starke Frau. Dann bin ich auf die Hexenprozesse gestoßen. Ich kann nachweisen, dass die Hexenprozesse eine Disziplinierungsmaßnahme für die Protestanten waren. Anna fällt ihnen zum Opfer. Sie überlebt die Folter zweimal. So steht es in den Protokollen.“
Sie beschreiben in dem Buch auch das Schicksal einer katholischen Frau, die erpresst wird, ihren Besitz herauszugeben.
Dagmar Rumpf: „Richtig. Bei dem Beispiel der Maria Salome Aschmann geht es um Habgier. Auch sie ist vor den Hexenjägern nicht sicher. Der Rektor der Jesuiten hat es auf ihr Hofgut abgesehen und will ihre bedrohliche Situation skrupellos ausnutzen, um in den Besitz ihres Vermögens zu gelangen, was ihm dann auch gelingt.“
Warum ein Roman?
Dagmar Rumpf: „Die Romanform ist geeignet, um ein großes Publikum zu erreichen. Und es kommt an. Das Buch verkauft sich gut.“
Was fasziniert Sie an dieser Zeit der Reformation?
Dagmar Rumpf: „ Das Thema hat mich immer begleitet. 2014 gab es in Rastatt eine Ausstellung über Jesuiten. Ich habe dafür über die Jesuiten in Baden-Baden recherchiert und einen Beitrag geschrieben. In diesem Zusammenhang bin ich auf das Schicksal der Maria Salome Aschmann gestoßen. Und dachte, das flechte ich mit ein.“
Was wollen Sie den Lesern vermitteln?
Dagmar Rumpf: „Einmal ganz aktuell, dass Toleranz und Rechtstaatlichkeit hohe Güter sind. Diese müssen geschützt und gewahrt werden. Gerade jetzt ist das brisant. Als ich anfing zu schreiben, 2008, war noch kein Trump an der Regierung und es gab keine QAnon-Bewegung. Eigentlich rückt der Verlust von Toleranz und Rechtstaatlichkeit bedrohlich nahe. Zu unserer Anna: Ich frage mich schon – war das Standhaftigkeit von ihr oder war es Starrsinn? Wie würde man heute reagieren? Sie hätte ja konvertieren können. Auf der anderen Seiten habe ich Hochachtung, dass sie bei ihrem Standpunkt bleibt.“
Sie sind Mitarbeiterin des Stadtarchiv. Was lagert dort eigentlich?
Dagmar Rumpf: „Viele Schätze. Wir übernehmen Akten, die nicht mehr in der Verwaltung benötigt werden. Wenn eine Akte 20 Jahre alt ist, dann ist das die Geschichte von morgen. Nachfolgende Generationen sollen später einmal bewerten können, wie etwa das Jahr 2020 war. Das älteste Dokument im Archiv ist von 1467. Wir hatten 1689 einen verheerenden Stadtbrand, der hat viel vernichtet, auch das Archiv. Im Moment habe ich Baupläne aus dem ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auf dem Tisch, als Baden-Baden die große Blüte erlebt. An der Luisenstraße verlief ja einst die Stadtmauer. Diese wurde entfernt, um an der Stelle Häuser zu errichten.“
Wie kamen Sie zum Titel Ihres Romans?
Dagmar Rumpf: „Der Wille war, dass die angeblichen Hexen nicht nur bestraft werden, sondern dass ihre Existenz für alle Zeiten ausgelöscht wird. Jede Erinnerung sollte getilgt werden. Ich wollte 400 Jahre später dieses perfiden Plan des markgräflichen Beamten Eschbach durchkreuzen, der das grausame Schicksal der Anna Weinhag und viele andere zu verantworten hatte. Jetzt ist ihre Geschichte wieder bekannt. Im Buch kommt Eschbach zu Anna in den Kerker mit dem Brief, den sie dem Markgrafen schrieb. Wie kann es sein, dass eine Frau dem Markgraf einen Brief schreibt? Er war Frauenhasser. Er verfolgte Anna wahnhaft. Ich musste dieses Frauenschicksal erzählen.“
Haben Sie schon ein neues Buch-Thema im Kopf?
Dagmar Rumpf: „Vage. Aber jetzt bin ich erst mal vollauf damit beschäftigt, alles, was in dem Zusammenhang mit diesem Buch steht, abzuarbeiten. Vielleicht erzähle ich irgendwann in einem zweiten Teil, wie es weitergeht mit Anna Weinhags Sohn Martin, der konvertierte, und seiner Frau. Das war die Zeit des großen Brandes von 1689 und der Pfälzischen Erbfolgekriege.“
Seit kurzem bieten Sie auch Stadtführungen an, richtig?
Dagmar Rumpf: „Ja, das wurde aus der Not geboren, da ich wegen Corona keine Lesungen machen durfte. Die Stadtführungen sind ein Renner. Ich habe 21 Führungen geplant, vor meinem Urlaub bereits acht angeboten. Weil sie großen Zuspruch finden, mache ich weiter.“
Fotos: FBB-Archiv