Das Festival der Dekadenz
03Februar
2023
Baden-Baden treibt sein „good-good life“-Image auf die Spitze. Vom 19. bis 21. Mai 2023 wird das „Wein- und Gourmet-Festival“ an verschiedenen Orten in der Stadt stattfinden. Wer die ganz besonderen Schätze kosten will, muss bis zu 2.950 Euro für einen Abend löhnen. Ist das noch zeitgemäß? Ein Kommentar von Cornelia Mangelsdorf.
Ein guter Ruf ist schnell zerstört. Doch es braucht eine gefühlte Ewigkeit, ihn aufzubauen oder, noch schlimmer, ihn wiederherzustellen. Baden-Baden richtet im Mai ein exklusives Gourmet-Festival aus. Und riskiert damit, übers Ziel hinauszuschießen. Schon jetzt sind die Zeitungsseiten voller Leserbriefe: herbe Kritik von Bürgern dieser Stadt, die realisieren, dass die Tafelläden einen Andrang haben wie nie zuvor. Weil selbst die Mittelschicht mittlerweile unter den hohen Lebenshaltungskosten leidet. Und auch, weil am östlichen Rand von Europa ein Krieg tobt, der die ganze Welt beunruhigt. Er bringt Hunger, Kälte, Vertreibung mit sich.
Das Festival kommt zur falschen Zeit
Das „good-good life“ blendet diese Geschehnisse aus, als gäbe es die Unbill des Lebens einfach nicht. Hier wäre Feinfühligkeit gefragt gewesen, um das Event vielleicht weniger hochpreisig auszurichten. Und allen eine Teilhabe zu ermöglichen. Oder es zu verschieben. Aber nein: Der Champagner wird fließen und Rotwein-Raritäten werden aus den Kellern geholt. Die erwarteten 3.000 bis 4.000 gut betuchten Besucher werden sich im Mai an ausgewählten Orten wie dem Brenners Park Hotel, dem Jardin de France, dem Hectors im Kurhaus und anderen für gehobene Gastronomie bekannten Etablissements ganz ihrer Gourmetlust hingeben – wenn sie bereit sind, dafür tief in die Tasche zu greifen.
Ein Dinner für fast 3.000 Euro
Die Angebote des Festivals klingen nach abgehobenen und gar nicht mehr zeitgemäßem Marketing-Sprech. Da ist von „VIP-Lounge“ mit „free-flowing Champagner“, einem „Premium-Goodie-Bag“ und von der „Big Bottle Party“ im Hectors im Kurhaus die Rede. Wer sich dabei aber noch nicht exklusiv genug fühlt, für den ist das Raritäten-Dinner „Wachau trifft Champagne und Burgund“ im Brenners Park-Hotel & Spa genau richtig, für 2.950 Euro. Man will ja unter sich bleiben. Ich kenne einige Menschen, die sich ein solches Dinner locker leisten könnten. Aber denen es der Anstand verbietet, so viel Dekadenz an den Tag zu legen. Denn es ist einfach nicht die Zeit für das Zur-Schau-Stellen von monetärem Elitentum. Dies hat ein, badisch ausgedrückt, ein „Gschmäckle“.
An anderer Stelle wird das Bezahlen der Kartoffeln zum Problem
Baden-Badener Gourmets, die sich gegen das Festival entscheiden werden, wissen, dass nur drei, vier Kilometer vom Brenners entfernt die Menschen am Tafelladen regelmäßig Schlange stehen, um für vielleicht drei Euro ihren Wocheneinkauf an Lebensmitteln zu bestreiten. Eine Tasche mit Nudeln, Kartoffeln, Salat, vielleicht etwas Fleisch, das muss für ein paar Tage reichen. Wie viele Taschen könnte man füllen, wenn die erlauchten Gäste im Brenners vielleicht noch einen Schlenker im Tafelladen machen würden – und dort die Summe spenden, die sie im Brenners ausgeben?
Viele belächeln das Festival jetzt schon
Keine Frage: Ein Gourmet-Festival in der Stadt zu lancieren, ist keine üble Sache. Und ja, es gibt auch ein weniger kostspieliges Rahmenprogramm mit Vorträgen, Workshops, Verkostungen und Zugang zu Ständen von Veranstaltern. Zu diesen zählen bekannte Köche und Winzer.
Doch das auf die Spitze getriebene Luxus-Konzept wird selbst bekennenden Gourmets den Magen umdrehen.
Luxus für eine Minderheit
Und so klingt es fast wie eine Farce, wenn Hotelsprecher Markus Beus vom Brenners sagt: „Diese Raritäten-Verkostung ist etwas ganz Besonderes.“ Es ist ein Festival im Zeichen der Dekadenz, auch wenn die Magnumflasche Veuve Clicquot „La Grand Dame Rosé“ von 1990 und der erlesene Rotwein Château d’Yquem von 2015 sicherlich köstlich schmecken werden. Es sind von Weinkennern hochgeschätzten Seltenheiten.
Immer mehr Menschen armutsgefährdet
Doch vergessen wir eines nicht – und da wären wir wieder beim Ruf, den man verlieren kann, wenn man aufs falsche Luxuspferd setzt: Baden-Baden ist keineswegs nur die Stadt der Reichen. Es ist auch eine Stadt der Armen und Bedürftigen. Viele Kinder in Schulen und Kitas erhalten ein von der Stadt finanziertes warmes Mittagessen. Der Prozentsatz von armutsgefährdeten Menschen in Deutschland klettert seit Jahren in die Höhe – auf einer Kurve, die in den letzten Jahren so steil war, dass man meinen könnte, es handele sich um die Verkaufszahlen von Taylor Swifts neuestem Pop-Album.
Unsere Zukunft, die Kinder, sind von Armut betroffen
Wer sich in den oberen zehn Prozent der Bevölkerung vorfindet, denen über 50 Prozent des deutschen Gesamtvermögens gehört, muss sich freilich keine Sorgen machen. Doch rund 17 Prozent der Kinder und rund 21 Prozent der jungen Erwachsenen in Baden-Württemberg sind von Armut bedroht: oft mit katastrophalen Folgen für ihre Entwicklung und das spätere Leben. Darüber berichten wir heute in unserem zweiten Beitrag.
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