Antisemitischer Aufruhr in Baden-Baden

19November
2018

Bei der Mahnwache am Platz der ehemaligen Synagoge in der Stephanienstraße erschütterte der Ausruf eines etwa 12-jährigen Schülers: „Alle Juden verbrennen“. Die Polizei ermittelte, doch der Junge ist zu jung, um bestraft zu werden. Die antisemitische Hetze nimmt zu – wir dürfen sie nicht hinnehmen!

Erinnerung an das Grauen

Der 10. November 1938 war ein schwarzer Tag, auch für Baden-Baden: 52 jüdische Männer wurden ins KZ Dachau deportiert, die Synagoge wurde in Brand gesteckt. Mit der Mahnwache erinnerte der „Aktionskreis Neue Synagoge Baden-Baden“ in diesen Tagen, genau 80 Jahre später, an die Reichspogromnacht. Am 11. November fand die Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht im Rathaus Baden-Baden statt. Dort wurde auf dem Podium über das Wiederaufleben des Antisemitismus in der heutigen Zeit gesprochen – doch die Oberbürgermeisterin thematisierte den Zwischenfall mit dem Jungen nicht.

Jeder dritte Deutsche judenfeindlich

Dass eine Stadt offen über derartige Vorkommnisse spricht, ist dringend notwendig. Denn: Antisemitismus nimmt in einem gefährlichen Ausmaß zu. Mehr als jeder dritte Deutsche ist offenbar antijüdisch eingestellt. Das hat eine Umfrage der Anti-Defamation League ergeben, die in Berlin ein paar Tage vor den Gedenkfeiern vorgestellt wurde. Damit steht Deutschland in Europa an erster Stelle, vor Belgien und Frankreich.

Ein Antisemitismus-Beauftragter fürs Land

Es kommt also nicht von ungefähr, dass es in Baden-Württemberg seit kurzem einen Antisemitismus-Beauftragten gibt: nach Rheinland-Pfalz damit das zweite Bundesland, das einen solchen Interessenvertreter hat. Der Religionswissenschaftler Dr. Michael Blume ist seit März 2018 im Amt.

Judenhass ist eine Bedrohung für alle

Doch es geht noch weiter: „Der zunehmende Antisemitismus im Land bedroht nicht nur die Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Baden-Württemberg, er bedroht auch die Rechtsstaatlichkeit und den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Das beobachten wir mit Sorge. Daher ist es uns ein besonderes Anliegen, die Handlungsfelder des Landes bei der Bekämpfung des Antisemitismus weiter auszubauen und uns mit aller Kraft für die Vielfalt des religiösen Lebens in Baden-Württemberg einzusetzen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann aus aktuellem Anlass: „Mit der Einrichtung eines Expertenrats beim Beauftragten gegen Antisemitismus wollen wir als Landesregierung ein klares Zeichen setzen für das jüdische Leben und gegen antisemitische Entwicklungen in Baden-Württemberg.“ Der Expertenrat setzt sich zusammen aus rund 20 jüdischen und nicht-jüdischen Fachleuten aus Wissenschaft, Verbänden und Zivilgesellschaft. Darunter ist auch Rami Suliman, Vorsitzender des Oberrats der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden.

„Nationalismus führt zu Rassismus und Krieg“

Es kann gar nicht genug getan werden, um Anzeichen von Judenhass und weiterem Rassismus zu stoppen. Denn er ist brandgefährlich für alle Menschen. Jeder, der antisemitische Äußerungen hört, sollte handeln. Jean Monnet, französischer Unternehmer, Wegbereiter der EU, Karlspreisträger und erster Ehrenbürger Europas, formulierte den Grundgedanken für ein vereintes Europa so: „Alle unsere Anstrengungen sind die Lehre unserer historischen Erfahrung: Nationalismus führt zu Rassismus und Krieg, in radikaler Konsequenz zu Auschwitz."